Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Dunkelhaarigen, der sich an ihn klammerte, als sei er der Strohhalm, der Thomas vor dem Ertrinken bewahren würde. Will hatte ihn selten so erschüttert gesehen, nie so verletzlich wie in diesem Augenblick, in dem der Größere sich mit Macht an ihn presste.
„Was hätte ich dir sagen sollen“, wisperte er als Antwort. „Du wolltest es nicht wissen. Niemand will so etwas wissen.“
„Ich liebe dich, Will.“ Thomas löste sich von dem Blonden. „Natürlich hätte ich es wissen sollen, wissen müssen.“
Will schüttelte den Kopf, fuhr sich mit seinen langen Fingern durch das schweißnasse Haar. „Das alles ist zu lange her, eine Ewigkeit. Niemand sollte sich daran erinnern. Es… es tut mir leid, dass es mir herausgerutscht ist.“
„Nein.“ Thomas‘ Stimme klang sanft, als er Will wieder an sich zog, der sich nur allzu gern in die Umarmung schmiegte, die er zu lange hatte missen müssen. „Es war richtig so. Ich verstehe jetzt so vieles, ich verstehe, warum du dich zurückgezogen hast.“
Seine Hände glitten über den nackten Rücken des anderen, liebkosten die Spuren der Narben, die den geliebten Körper bedeckten. Sie gehörten zu Will ebenso wie die seelischen, die ihn zu dem Mann gemacht hatten, der er war.
„Es war nicht deine Schuld. Denke nie, dass es deine Schuld war.“
„Ich weiß“, antwortete Will heiser. „Und doch ist damals etwas in mir zerstört worden, das sich nicht wieder reparieren lassen wird, niemals wieder.“
Thomas hielt ihn, und Tränen liefen über sein Gesicht, vermischten sich mit denen Wills, als ihre Wangen sich berührten.
„Dann nehme ich dich so, wie du bist“, flüsterte er. „So und nicht anders.“
Ende
Lakota
Floyd zügelte sein Pferd. Eine seltsame Unruhe ergriff ihn, die Vorahnung eines Ereignisses, das in seinen Visionen der vergangenen Tage noch immer keine konkreten Formen angenommen hatte.
Seit er in das Reservat zurückgekehrt war, hatte es nur ein einziges Ziel für ihn gegeben: die Lücke, die sein Vater hinterlassen hatte, zu füllen, so gut er es vermochte.
Je stärker seine Verbindung zu den Geistern seiner Väter wurde, je deutlicher er spürte, dass er dieses Land nicht mehr werde verlassen können, selbst wenn er es wünschte, um so schmerzhafter wurde die Erkenntnis für ihn, dass die kurze Begegnung mit Walter das Einzige sei, was er jemals an Nähe erfahren durfte. Sein Weg, der Weg des Schamanen, musste alleine beschritten werden. Es gab keinen Platz für eine Freundschaft, die noch dazu an den Widerständen, die sich ihr auf den ersten Blick entgegen stellten, scheitern musste. Und doch, und obwohl Floyd sich sicher war, dass Walter und er durch Welten getrennt waren, wanderten seine Gedanken immer wieder zu dem Mann zurück. In den wenigen Tagen, die sie zusammen erlebt hatten, war er ein anderer geworden, hatte er sich verändert und der Lakota begann erst in diesem Augenblick zu erkennen, wie tief diese Veränderung reichte.
Floyd legte die Hand über die Augen, schützte sie vor der Sonne und starrte auf den Streifen Staubes, den der einsame Wagen auf der Landstraße aufwirbelte.
Konnte es wirklich sein? Sein Herz machte einen Sprung.
Er war es. Floyd wusste nicht warum, doch Walter war zu ihm zurückgekehrt, hatte über endlose Meilen hinweg empfunden, was Floyd ebenso gefühlt hatte. Dass sie zusammen gehörten. Dass vor ihnen ein Pfad lag, den sie gemeinsam beschreiten sollten.
Floyd lachte und die Ahnen in seinem Herzen lachten mit ihm.
Ende
Theater
Liam war atemberaubend.
Auch an diesem Abend wurde er wieder mit stehenden Ovationen belohnt. Auch an diesem Abend stand das Publikum in seinem Bann, ebenso wie Nathan selbst.
Mit einem Seufzer fuhr sich der blonde Mann durch sein struppiges Haar. Es fühlte sich an wie trockenes Stroh und Nathan seufzte bei dem Gedanken, dass es auch in Zukunft so bliebe, egal mit wie viel Spray und Gel er noch experimentierte. Seidig glatt wie Liams konnte es nicht mehr werden, die Chance war vertan.
Nathan schmiegte sich enger in den Vorhang, seinen bevorzugter Standort, von dem aus er den besten Blick auf die Bühne genoss.
Liams Haar fiel in weichen Wellen auf seine Schultern. Die Scheinwerfer warfen samtene Schimmer über das dunkle Braun, verwandelten jede Bewegung des Kopfes in eine schwingende Woge.
Wenn Nathan nicht wüsste, dass sich der Glitzer, den die Maskenbildnerin noch kurz vor Liams Auftritt über seine Haare verteilte, nach und nach löste und wie
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