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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Seite lautlos herbeigekommen war. Die Wahrnehmung spannte seine Sinne von neuem, und er betrachtete den Schatten aufmerksam und mit feindseligem Erstaunen. Die fremde Gestalt war schmal und lang. Ein barhäuptiger junger Mensch war es, mit unbekleidetem Oberkörper; in der Hand trug er eine Flinte. Das halbaufgelöste Haar hing ihm lang über den Rücken.
    Er schien nicht auf Tokei-ihto zu achten, sondern unverwandt seinen Gefährten nachzuspähen. Das Fußgetrampel der ins Tal eilenden Menge war schon fast ganz verklungen und im gleichmäßigen Rauschen des Stromes untergegangen. Der Häuptling beobachtete, wie der junge Krieger den Kopf wandte und zu ihm herblickte. Tokei-ihto erwiderte wortlos den Blick und wartete, wie der andere sich weiter verhalten werde.
    Der junge Krieger begann zu sprechen. »Sie sind alle dumm«, sagte er leise mit einer angenehm klingenden Stimme. »Ich allein habe dich erkannt und will mit dir kämpfen, um deine Skalphaare an meinen Rock zu nähen. Du bist Tokei-ihto. Dein Messer verrät dich.«
    »Ja«, antwortete der Häuptling ebenso ruhig. »Versuch es und greife mich an. Aber wenn ich dich besiege, mußt du ein Mädchen aus unseren Zelten heiraten. Wir haben zuwenig Männer.«
    »Oh«, sagte der junge Krieger verblüfft. »Mein Name ist Schudegatscha, ich bin vom Stamm der Ponka, und ich will nicht eure Weiber heiraten. Deinen Skalp will ich haben, Häuptling!«
    »Du kannst ihn dir holen, Schudegatscha. Er befindet sich auf meinem Kopf und ist dort ziemlich fest angewachsen. Du wirst einen Schnitt machen und ziehen müssen.«
    »Ja!« Der Jungmann war aufgebracht. »Das werde ich tun! Warum spottest du über mich? Glaubst du, die Schneide meines Tomahawks sei stumpf geworden?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Dein Beil ist scharf, und deine Gedanken sind klug. Du wirst dir jetzt den Skalp des Tokei-ihto holen. Tokei-ihto hat eine Wunde, und vielleicht kann er nicht mehr seine volle Kraft gebrauchen.
    Du mußt es versuchen. Wenn du mir den Skalp abziehst, geben sie dir zweihundert Dollar und eine Reise nach Washington, dir allein, denn alle deine weißen und roten Brüder sind fortgelaufen. Du wirst nicht umsonst tapfer sein, Schudegatscha; du wirst gut bezahlt, Sohn der Ponka, so wie einst der Verräter, der Pontiac erschlug.«
    Der junge Krieger stieß einen verächtlichen Pfiff aus. »Ich werde nicht nach Washington reisen. Tokei-ihto, Sohn des Mattotaupa, und ich brauche nicht die zweihundert Dollar. Ich bin kein weißer Mann, der Schulden hat bei der Pelzcompany und seine Fallen mit deinen Haaren bezahlen will. Ich bin auch kein roter Mann, der Geheimniswasser trinkt und darum Gold braucht.
    Ich will Tokei-ihto skalpieren, damit mein Name an allen Lagerfeuern gerühmt wird. Deine Väter haben meine Väter getötet. Ihr habt uns verfolgt, ihr Dakota, solange ihr mächtig wart, wie die Wölfe das Wild. Ein Dakota hat meine Schwester Mongschongschah geraubt. Er heißt Tschetansapa und gehört zu deinen Kriegern.«
    »Die Männer der Ponka sind in unsere Jagdgründe eingedrungen, das weißt du, Schudegatscha!«
    »Ja, das weiß ich. Die Büffelherden hatten unsere Prärien seit vielen Sommern und Wintern verlassen, und unsere Weiber und Kinder haben gehungert. Wir mußten die Büffel in euren Jagdgründen suchen.«
    »Weil die weißen Männer mit ihren Repetiergewehren so viele Büffel abgeschossen hatten, daß der Rest nicht für uns und nicht für euch reichte.«
    Der Ponka schwieg einen Augenblick.
    »Willst du dich mit den weißen Männern entschuldigen, Tokei-ihto?« fragte er dann. »Hast du Angst, mit mir zu kämpfen?«
    Tokei-ihto trat an den Ponka heran. Der verwundete Häuptling hatte nicht mehr die Kraft gehabt, in die Bucht hinunterzulaufen, um zu fliehen. Aber jetzt trat er vor. Er überragte den anderen um eine Stirnbreite. Als dem Ponka das letzte Wort aus den Lippen geschlüpft war, fuhr die Faust des Häuptlings schon wider den Körper des Jungmanns. Der Ponka stürzte zu Boden. Tokei-ihto kniete auf ihm und fesselte ihn. Er tötete ihn nicht.
    Drunten im Tal hatte das Krachen der Flintenschüsse inzwischen ganz aufgehört. Fernes Hufgetrampel drang durch das Rauschen des Stromes zur Höhe herauf. Wenn Tokei-ihto recht hörte, so galoppierte eine große Reiterschar stromabwärts. Die Skalpjäger waren bis zu ihren Pferden gelaufen, die sie am Abend im Tal versteckt hatten; sie waren aufgesessen und ritten fort. Suchten sie noch immer den Unbekannten, der im

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