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Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
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    Paris 1609
     
    Angewidert rümpfte Manon die Nase.
    »Ich kann nicht glauben, dass es hier so stinkt!«, sagte sie mit einem Gesicht, als hätte sie Zwiebeln geschnitten, und hastig hielt sie sich ein Tuch vors Gesicht. »Grauenvoll«, murmelte sie dahinter hervor. Wer es nicht besser wusste, musste annehmen, dass sie fürchterliche Schmerzen erlitt.
    Bedauerlicherweise konnte ich ihr nicht widersprechen. Paris schien eine Kloake zu sein und jede Ecke brachte einen anderen Geruch mit sich. Abwechselnd stank es nach Fisch, Feuer, Abfällen und Schweiß und nicht einmal der Schnee konnte den Geruch ganz verdecken. Hinzu kam der ohrenbetäubende Lärm der Straßen, in denen Kutschen über das Straßenpflaster rumpelten und Händler sich schreiend zu überbieten versuchten, während in der Ferne die Glocken von Notre-Dame zu hören waren.
    »Die besten Heringe der Stadt!«
    »Mit diesen Duftwässern werdet Ihr jeden Herren bezaubern, meine Damen!«
    »Kartoffeln.«
    »Frisches Brot.«
    »Das sieht aber schon alt aus. Ist bestimmt vom Vortag.«
    »Verschwinde, du Bengel, oder es setzt was!«
    »Brennholz. Trocken und billig!«
    Ich war noch sehr klein gewesen, als wir das letzte Mal Paris besucht hatten. In meiner Erinnerung war es ein magischer Ort, an dem elegante Frauen in den schönsten Kleidern herumliefen, nach Rosenwasser rochen und am Nachmittag Marzipankuchen aßen. Mein Paris schmeckte nach Zucker und roch nach Mandeln.
    Aber das war viele Jahre her und das Paris, durch das wir an diesem Wintertag fuhren, hinterließ den Geschmack von Asche auf meiner Zunge.
    »Warum sind wir nur hierhergekommen?«, jammerte Manon weiter, während die Kutsche schwerfällig über die Rue Saint-Denis Richtung Süden rumpelte und uns dabei von einer Seite auf die andere schleuderte. Schon seit wir im Norden durch das Stadttor gefahren waren, tat mir der Hintern weh. Vor dem kleinen Kutschfenster hüpften die Bilder auf und ab. An der Straßenseite standen Mägde und schwatzten, während sie den Männern zuwinkten, die an ihnen vorbeiliefen. Ihre dicken Tücher, in die sie sich wegen der Kälte gewickelt hatten, bildeten einen Reigen bunter Punkte.
    Als wir in die Rue Saint-Germain einbogen, um an der Seine entlangzufahren, reckte ich neugierig den Hals. Auf der anderen Seite des Ufers erhob sich dunkel die Silhouette von Notre-Dame, die sich gegen den hellen Himmel abhob. Es kam mir so vor, als wollte man Paris in den Himmel bauen, so hoch waren die Gebäude. In Chantilly, dem Ort, in dem unser Familiensitz war, gab es solche Gebäude nicht. Kaum ein Haus erreichte dort eine dritte Etage. Der Ort, in dem ich aufgewachsen war, lag umgeben von Wäldern und Ackerflächen, auf denen sich im Winter die Raben niederließen. Es passierte kaum etwas Aufregendes.
    Die abendliche Wintersonne ließ das Wasser der Seine funkeln wie ein Netz aus Diamanten. Gegen das gleißende Licht musste ich die Augen zu Schlitzen zusammenpressen, so sehr blendete es mich. Wie wunderschön doch alles war.
    Für einen Moment hielt ich die Luft an.
    Bei seinen Besuchen in Chantilly hatte Vater so oft vom königlichen Hof gesprochen, dass ich es kaum abwarten konnte, all die Wunder zu sehen, von denen er erzählt hatte. Angeblich gab es kleine Bäume aus Zucker, die den echten zum Verwechseln ähnlich sahen. Und die Ehrendamen der Königin trugen die erstaunlichsten Kleider, hatte mir Henri in einem seiner seltenen Briefe geschrieben. Mein Bruder wollte mir ein neues Spiel beibringen, das vor allem bei den Herren sehr beliebt war: Jeu de Paume , dabei mussten die Gegner einen kleinen Ball über ein Netz schlagen. Ich hatte die Regeln nicht vollständig begriffen, aber Henri hatte mir versprochen, dass ich es schnell lernen würde. Er war schon über ein Jahr am Hof und noch immer nicht nach Chantilly zurückgekehrt. Da er schnell das Interesse an etwas verlor, schien mir der Hof ein ganz erstaunlicher Ort zu sein, wenn er ihn so lange fesseln konnte.
    »Außerdem zieht es«, murmelte Manon in meine Gedanken hinein und ich wandte mich von dem Schauspiel auf dem Wasser ab. »Mein Nacken ist schon ganz steif.« Der Blick aus ihren dunklen Augen war ein einziger Vorwurf. »Im Winter sollte man nicht reisen, das ist ja die reinste Unvernunft. Den Tod werden wir uns noch holen!«
    Ich musste lachen. »Nun jammere doch nicht so, Manon. Man könnte meinen, du fährst zu einer Hinrichtung und nicht an den Hof. Bist du denn kein bisschen neugierig? Es heißt, der

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