Über den Missouri
das Geld, das Tobias ihm überlassen hatte, noch frisches Rindfleisch, und der Wirt fand zum zweitenmal Grund, den Kopf zu schütteln. Als der Indianer auf diese Weise alles, was er für seine Zwecke brauchte, beisammen hatte, führte er den sanften und gehorsamen braunen Wallach am Zügel aus den Fortanlagen hinaus. Die Ledertaschen mit den Büchsen und dem Fleisch hatte er rechts und links angehängt und den verbindenden Riemen am Sattel befestigt.
Es schneite stärker. Das Flockengewirbel legte sich wie ein endloser, immerzu sinkender Schleier vor die Augen. Auf Kopf und Schultern der Menschen, in den Mähnen der Pferde, an den Zeltplanen blieben Flocken haften und vergingen nicht.
Das erste Ziel des Reiters war das Lederzelt.
Er pflockte seinen Braunen an und schlüpfte in das Zelt hinein.
Es brannte kein Feuer im Innern. Die gebrochene Helle drang nur verstohlen und mühsam durch Schlitze und Ritzen; es war dämmrig unter den Lederplanen. Im Hintergrund saß die junge Frau, die der Ankommende schon beobachtet und erkannt hatte, zusammen mit einem etwa neunjährigen Jungen. Seit langer Zeit war es das erstemal, daß der entlassene Gefangene wieder ein Zelt betrat. Er blieb stehen, fing den Blick der abgehärmten Frau auf, die ernst und regungslos an ihrem Platz saß, und fragte: »Wo ist Tashunka-witko?«
Die junge Frau gab keine Antwort.
Der Dakota nahm den Eindruck des gesamten Zeltinnern in sich auf. Der Boden war kahl; nicht eine Decke lag darauf. An den Stangen hingen keine Trophäen.
Die junge Frau schloß die Augen zum Zeichen, daß sie nicht sprechen werde. Der Knabe schaute feindselig auf den ihm fremden Mann mit dem Revolver.
Tokei-ihto stand davon ab, in diese Menschen zu dringen, und verließ das Zelt wieder.
Er machte sein Tier los, schwang sich auf und ritt zwischen den lagernden, wartenden, zum Teil mit ihren Rationen schon wieder abziehenden Indianern hindurch. Er fand kein Gesicht mehr, das er kannte, und ritt langsam wieder zu der Ausgabestelle der Lebensmittel zurück. Douglas Finley stand nicht mehr dort. Der Indianer wandte sich an den Manager, mit dem Finley gesprochen hatte.
»Wo finde ich Tashunka-witko?«
»Wen?«
»Crazy Horse«, verbesserte sich der Dakota.
»Den? Nicht weit von hier, paar Meilen westwärts. Er spricht aber nicht so leicht mit jemand. Da müßte schon ein Wunder geschehen.«
»Vielleicht geschieht es.«
»Absonderlicher Bursche bist du«, murmelte der Manager vor sich hin. »Wenn du für diesen Finley etwas von Wert einhandelst, denke auch an mich.«
Tokei-ihto ritt wiederum aus der Agentur hinaus. Das Reiten mit Sattel und Steigbügel war ihm ungewohnt, wenn er es auch in der Zeit des Verbanntenlebens mit zwölf Jahren im Zirkus »Myers« in der Rolle »Sohn eines Lords« einmal hatte lernen müssen. Immerhin, so gut wie ein Dragoner verstand er das Reiten im Sattel auch. Der Braune trabte, und der Indianer fand sich rasch wieder in diesen Rhythmus hinein. Das Pferd mit Sattel gab auch seinem Reiter einen agenturmäßigen Anstrich; es wirkte wie ein Merkmal der Zugehörigkeit zur Welt der Weißen, und das war Tokei-ihto in seiner Situation das Erwünschte.
Der Dakota trieb den Braunen zu einem leichten Galopp; die beschlagenen Hufe hinterließen eine Spur, die bei niemandem Verdacht erregen konnte. Das Herz des Indianers klopfte und sprang gegen das fiebernde Blut. Seine Schläfen glühten, seine Hände waren kalt. Aber jede Minute, die er gewann, konnte kostbar für ihn sein, und er dachte nicht daran, sich zu schonen.
Die Dragonerabteilungen, die in der Nähe der Reservation und des Forts noch dauernd unterwegs waren, hinterließen Fährten, die deutlich genug waren. Der Dakota wollte dem Militär aber jetzt nicht mehr begegnen. Vorsichtig umging er jedes mögliche Zusammentreffen, ohne sich zu verbergen.
Nach knapp zwei Stunden hielt er an. In der Ferne erblickte er ein Zeltlager. Das Land rings war kahl und flach. Niemand konnte sich diesem Lager nähern, ohne bemerkt zu werden. Der Dakota überlegte einen Augenblick.
Dann trieb er seinen Braunen weiter. Er sah drei dünne Rauchfahnen, die von den Zelten aufstiegen und vom Flockenwirbel gedrückt wurden. Er fand im Weiterreiten Fährten. Spuren unbeschlagener Hufe. Auch der Fährte der Transportgruppe, die zu der Agentur gezogen war, um Lebensmittel zu holen, begegnete er wieder. Endlich erreichte er die spitz zulaufenden Tipi. Ein paar Kinder mit mageren Gesichtchen beobachteten ihn und
Weitere Kostenlose Bücher