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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Mustang entgegen.
    Tokei-ihto meldete sich bei dem Befehlshaber, etwas höflicher und in einer mehr militärischen Haltung, als er in früherer Zeit, als er Kundschafter der Weißen gewesen war, je eingenommen hatte. Der Zugführer betrachtete den beschmutzten Rock des Indianers kritisch, war aber von dessen Haltung und seinem guten Englisch sichtlich eingenommen. Er ließ sich den vielfach versiegelten amtlichen Brief vorweisen und sagte endlich:
    »Halte die Augen offen, ob du verdächtigen Indsmen begegnest, die zwischen Fort und Reservation hin und her schleichen. Jenseits unseres Forts lagerte Crazy Horse mit seinen roten Banditen. Er soll keine unkontrollierten Verbindungen herstellen.«
    »Hau. Ich werde die Augen offenhalten!«
    Die Fortanlagen glichen einander überall. Tokei-ihto hielt an und musterte Gebäude und Umgebung. Vom grauen Himmel tanzten einzelne große Flocken auf das weiße Land herab. An den Dächern hingen Eiszapfen. Über Schornsteinen spielte der Rauch. Der Atem von Mensch und Tier dampfte.
    Der junge Häuptling ritt im Schritt zu den Gebäuden heran. Vor den Palisaden befanden sich indianische Lastpferde mit ihren Rutschen, einige wenige Ochsenkarren, ein paar Zelte aus Zeltleinwand; ein einziges war noch nach alter Art aus Büffellederplanen hergestellt. Eine Dragonerabteilung zu Pferd mit drei bewaffneten indianischen Seouls kontrollierte die lagernden Indianer sowie zwei Indianergruppen, die eben von Westen her zu den Gebäuden und dem Lager herbeizogen. Die Indianer waren unbewaffnet. Sie gehörten, wie Tokei-ihto sofort erkannte, zu den Dakota-Titon-Oglala.
    Der Reiter konnte durch das offene Tor in den großen Hof der Station hineinsehen, und er brauchte nicht lange zu spähen, um zu wissen, was vorging. Die Indianer waren gekommen, um ihre Lebensmittelrationen an dem festgesetzten Tag in Empfang zu nehmen. Speck und Mehl wurden ausgegeben. Mit Mehl allein war nicht viel anzufangen, und von dem ungewohnten Speck wurden Indianer krank, aber sie nahmen beides ohne jede Bemerkung. Rinder standen, in ihr Schicksal ergeben, im Schnee. Nur eine Kuh, die lange nicht gemolken worden war, brüllte jämmerlich.
    Der Dakota setzte den Falben wieder in Bewegung und lenkte quer durch die Lagernden auf den Haupteingang zu. Er hatte die Lider gesenkt, aber seine Augen beobachteten scharf. Es war möglich, daß er jemanden traf, mit dem er bekannt war. Er wußte, daß er selbst bei seinen Stammesgenossen auffallen mußte, auch wenn sie ihn nicht persönlich kannten. Er war mit einem Revolver bewaffnet und bewegte sich frei nach Art eines Scouts. Er hatte aber die Gestalt und die Kleidung eines Oglala und es war noch selten und darum auffallend, wenn ein Angehöriger dieses Stammes als Scout bei den Weißen diente.
    Die Gesichter der einzelnen Männer aus seinem großen und zahlreichen Stamm erschienen dem jungen Häuptling alle fremd. Nur der Ausdruck war ihm vertraut: Stolz, Trauer, verschlossene Verzweiflung, Haß ohne Worte, stumpfe Ratlosigkeit; die Nacken beugten sich den besseren Waffen, nicht dem höheren Recht. Tokei-ihto fühlte sich unter diesen Männern wie ein Bruder, auch wenn er keinen der Krieger mit Namen nennen konnte.
    Gleichgültige Stimmen weißer Angestellter zählten die Liefermengen ab; die Indianer schwiegen dazu. Die Art ihres Schweigens war für jeden beredt, der das Schweigen geknechteter Menschen zu deuten weiß.
    Tokei-ihto trieb sein Tier zu der Stelle hin, wo eine Anzahl Weißer, zum Teil in Uniform, zum Teil in Zivil, die Ausgabe der Lebensmittel überwachte. Eine Gruppe von Oglala meldete sich. Es waren hochgewachsene, abgemagerte Männer. Ohne jede Waffe wirkten sie wie Kriegsgefangene. Sie wurden von der Ausgabestelle zurückgeschickt, da sie noch nicht an der Reihe seien; die Gruppe sollte am folgenden Tag wiederkommen. Die Männer wandten sich um und gingen ohne ein Wort der Widerrede zu dem Lager draußen zurück. Einer davon verschwand in dem Lederzelt, kam aber bald wieder heraus. Er schien dort nur Bescheid gesagt zu haben. Tokei-ihto beobachtete dieses Zelt.
    Eine Frau trat aus dem Tipi. Sie konnte noch nicht alt sein, aber sie war auch nicht mehr jung. Tokei-ihto erkannte sie sofort, obgleich er sie nur zweimal in seinem Leben gesehen hatte, das erstemal als zwölfjähriger Knabe, das zweitemal vor fünf Sommern als junger Krieger bei einem Fest. Diese Frau gehörte zu den Verwandten Tashunka-witkos und trug den gleichen Namen wie Tokei-ihtos Schwester:

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