Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
wahrlich auch. Nach oben und unten und oben und unten. Er rang nach Luft, er keuchte, als wäre es er selber, nicht das Hauptdeck, der da unentwegt untergetaucht wurde und dann wieder auftauchen durfte. Hinab und wieder empor, und runter und rauf und runter. In seiner Brust hämmerte es. Benommenheit überkam ihn, aber auch eine Art betrunkener Leichtigkeit und Leere im Gehirn, die es ihm unmöglich machten, irgendwie Panik zu empfinden. Er wurde derart wild umhergewirbelt, daß er keine Furcht mehr empfinden konnte, es war dafür einfach keine Stelle in seinem Kopf frei.
    Wann sacken wir endlich ab? Jetzt? Jetzt? Oder jetzt?
    Oder würde die WOGE sie niemals loslassen, sondern sie ohne Ende um den Globus tragen, ewig kreisend wie ein von seiner schrecklichen Eigenkraft bewegtes Rad?
    Aber dann kam der Zeitpunkt, an dem alles wieder stabil wurde. Wir sind davon frei, dachte er, wir treiben wieder aus eigenem. Doch, nein, nein. Es war nur eine Illusion. Nach ein, zwei Augenblicken fing das Wirbeln erneut an, und heftiger als zuvor. Lawler spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf in die Beine schoß und umgekehrt und wieder umgekehrt. Seine Lungen schmerzten. Bei jedem Atemzug brannte es wie Feuer in seinen Nasenlöchern.
    Es gab ein Krachen und Gepolter, das aus dem Schiffsinnern zu kommen schien, und lauteres Getöse, das von draußen zu kommen schien. Er hörte ferne Stimmen rufen, gelegentliche Schreie. Da war das Brüllen des Windes - oder doch jedenfalls die akustische Einbildung, als hörte er den Wind brüllen. Und da war dieses dunklere Dröhnen der WOGE selbst. Und ein helles knisterndes Zischen, das in scharfes Fauchen überging und das Lawler überhaupt nicht einordnen konnte: vielleicht der wütende Zusammenstoß von Wasser und Himmel an ihrem Kontaktpunkt. Oder vielleicht auch war die WOGE von unterschiedlicher Dichte, und ihre eigenen hydratischen Komponenten - nur flüchtig gebunden durch das Moment der übergeordneten Kraft - waren in Widerstreit zueinander geraten.
    Und dann endlich trat erneut eine Weile Stille ein, und diesmal schien sie zu dauern und zu dauern und kein Ende finden zu wollen. Also, jetzt versinken wir, dachte Lawler. Wir sind fünfzig Meter tief unten, und wir sinken weiter. Gleich werden wir ertrinken. Jeden Moment kann der Druck des uns umgebenden Wassers unsere kleine Blase von einem Schiff zerquetschen, und die See bricht herein, und dann haben wir es überstanden.
    Er wartete, daß diese Wasserimplosion endlich komme. Ein rascher Tod - sollte es eigentlich sein. Die Faust des Wassers gegen die Brust würde den Blutstrom zum Gehirn abwürgen; er würde im Nu bewußtlos sein. Und er würde nie erfahren, wie die Geschichte endete: das langsame Tiefersinken, die berstenden Balken und Planken, die Geschöpfe der Tiefe, die neugierig hereinkommen, glotzen und überlegen und schließlich fressen würden.
    Aber es geschah nichts. Alles blieb still. Sie schwebten treibend in einer Zeit außerhalb der Zeit, ruhig und still. Lawler kam der Gedanke, daß sie wohl bereits tot sein müsse, sein müßten, daß dies hier das nächste Leben sein müsse, an das er nie hatte glauben können, und er schaute sich lachend um, weil er hoffte, Father Quillan irgendwo zu entdecken, damit er ihm sagen konnte: »Hattest du dir das so vorgestellt? Als ein endloses Dahintreiben im Schwebezustand? Genau an der Stelle, wo du gestorben bist, immer noch mit Bewußtsein behaftet, und um dich herum nichts weiter als eine maßlose Stille?«
    Er mußte über seine Torheit lächeln. Wenn es das Leben danach gab, dann war es bestimmt nicht die bloße Fortsetzung des augenblicklichen. Nein, er befand sich durchaus noch in seinem alten gewohnten Leben. Und dort waren seine ihm vertrauten alten Füße, die vertrauten alten Hände mit den blasser gewordenen Narben in den Handflächen. Und das war das Geräusch seines eigenen Atems. Er lebte noch. Und das Schiff mußte demzufolge noch schwimmen. Die WOGE war also doch vorbeigezogen.
    »Val?« fragte eine Stimme. »Bist du okay?«
    »Sundira?«
    Sie kam durch den engen, durch alles mögliche losgebrochene Zeug verstopften Gang auf ihn zugekrochen. Ihr Gesicht war sehr blaß, und sie wirkte wie betäubt. In den Augen stand ein starres Funkeln. Lawler regte sich, befreite sich von einer Planke, die von irgendwoher herabgestürzt und auf seiner Brust gelandet war, ohne daß er davon etwas gemerkt hätte, und dann wand er sich aus seinem gemütlichen Schlupfwinkel heraus. Sie

Weitere Kostenlose Bücher