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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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ihm, als Delagard mit dem Finger die Längengrade entlangzufahren begann. »Aha. Da. Da.«
    Sundira fragte: »Kannst du erkennen, wohin er zeigt?«
    »Wir sind mitten im Herzen des Leeren Meeres. Wir liegen fast in gleicher Distanz zu diesem ‚Antlitz’ wie zu den bewohnten Inseln hinter uns. Wir sind mitten im Nirgendwo, ganz klar, und wir sind ganz allein hier.«

2
    DAHIN WAR NUN jegliche Hoffnung darauf, eine Versammlung der Schiffe einzuberufen, um den geballten Gemeinschaftswillen der Sorve-Kolonie gegen Delagard ins Spiel zu bringen. Die gesamte Sorve-Gemeinschaft war auf genau dreizehn Personen zusammengeschrumpft. Inzwischen wußten alle auf dem einzigen geretteten Schiff, wohin die Reise wirklich gehen sollte. Manchen - wie Kinverson oder Gharkid - schien dies nichts auszumachen; für Männer wie sie war ein Ziel so gut wie ein anderes. Aber andere - Neyana, Pilya, Lis -würden kaum bereit sein, gegen irgend etwas zu opponieren, was Delagard beabsichtigte, und sei es noch so abwegig. Und wenigstens einer, Father Quillan, war Delagards geschworener Weggenosse auf der Suche nach diesem Land über den Wassern.
    Damit blieben noch Dag Tharp und Dann Henders, Leo Martello, Sundira, Onyos Felk. Onyos verabscheute Delagard. Gut, einer für meine Seite, sagte sich Lawler. Und Tharp und Henders, die hatten mit Delagard bereits Knatsch gehabt wegen der Zielrichtung; sie würden auch vor weiteren Auseinandersetzungen nicht zurückschrecken. Martello hingegen war ein Delagardist, und Lawler war nicht sicher, wie er sich bei einem Entscheidungskampf mit dem. Reeder verhalten würde. Sogar Sundira war eine unbekannte Größe. Lawler hatte kein Recht zu erwarten, daß sie sich auf seine Seite schlagen werde, wie eng auch ihre Beziehungen inzwischen zu werden schienen. Vielleicht war sie sogar neugierig auf dieses neue Land und wartete begierig darauf, zu erfahren, worum es sich dabei wirklich handelte. Schließlich hatte sie sich ja als Beruf die Erforschung der Welt der Kiemlinge gewählt.
    Also blieben vier gegen den Rest, oder bestenfalls  sechs. Nicht einmal die Hälfte der Besatzung. Es wird nicht reichen, dachte Lawler.
    Mehr und mehr verstärkte sich seine Überzeugung, daß es ein vergeblicher Versuch sein würde, Delagard unter Kontrolle zu bringen. Der Mann war dazu einfach eine zu bedeutende Größe. Fast so etwas wie die WOGE: Es paßte einem zwar nicht, wohin sie einen schleppte, aber man konnte nicht viel dagegen unternehmen. Wirklich nicht.
    Im Gefolge der Katastrophe schwirrte Delagard mit scheinbar unerschöpflicher Energie auf Deck umher, um das Schiff für die Fortsetzung der Reise wieder tauglich zu machen. Die Masten wurden ausgebessert, die Segel gehißt. Und wenn Delagard schon früher voller Antrieb und Zielstrebigkeit war, so wirkte er jetzt geradezu wie von Dämonen besessen, wie eine erbarmungslose Naturgewalt. Ja, dachte Lawler, der Vergleich mit der WOGE scheint wirklich passend. Der Verlust seiner kostbaren Schiffe schien Delagard über eine Willensschwelle hinaus und in einen ganz neuen Bereich von zielstrebigem Aktionismus getrieben zu haben. Voller Wut und wechselnder Launen, geradezu knisternd vor Energieüberladung, fungierte er jetzt als Zentrum in einem kinetischen Energiewirbel, der es nahezu unmöglich machte, ihn anzusprechen. Mach das! Du machst das da! Bring das in Ordnung! Schaff das da weg! Es blieb einfach um ihn kein Raum, als daß einer (wie Lawler) da hätte ankommen und sagen können: »Wir werden es dir nicht erlauben, Nid, das Schiff dahin zu führen, wohin du willst!«
    Am Morgen nach der WOGE hatte Lis Nikiaus frische Prellungen und Platzwunden im Gesicht. »Ich hab gar nichts zu ihm gesagt«, erzählte sie Lawler, während dieser den Schaden zu beheben versuchte. »Er ist einfach ausgerastet und wild geworden, sobald wir in der Kabine waren, ging auf mich los und hat mich geschlagen.«
    »Ist so was früher schon passiert?«
    »So wie jetzt? Nein. Jetzt ist er wirklich verrückt geworden. Vielleicht hat er auch Angst gehabt, daß ich was sagen könnte, was ihm nicht paßt. Aber er, er kann an nichts anderes denken als an dieses ‚Antlitz’, dieses Land-über-den-Wassern. Er redet sogar im Schlaf davon. Er verhandelt über Abmachungen, bedroht Konkurrenten, verspricht Wunder - ach, ich weiß nicht, was sonst noch.« Stämmig, groß, ein Vollweib, wirkte Lis auf einmal ganz in sich zusammengefallen und schwächlich, als würde Delagard ihre Lebenskraft aus ihr in

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