Über den Wassern
doch Nid Delagard hatte den Familienbetrieb weit über die bescheidenen Anfänge hinaus expandiert.
»Hier rüber«, sagte Delagard.
Am östlichen Himmel schimmerte plötzlich ein Streifen perlgrauen Morgenlichts. Die Sterne verblaßten, und der kleine Mond überm Horizont verschwand im wachsenden Tag. Und die Lagune färbte sich morgendlich smaragdgrün wie immer. Lawler folgte Delagard auf dem Pfad zur Werft, blickte aber auf die Bucht hinaus und sah nun zum erstenmal deutlich die gewaltigen phosphoreszierenden Wesen, die dort die Nacht über umhergetrieben waren. Und er erkannte, daß es Mäuler waren: riesenhafte flachgedrückte sackähnliche Geschöpfe, fast hundert Meter lang, die mit klaffenden riesigen, weit aufgerissenen Kiefern durch das Wasser zogen und alles verschluckten, was ihnen begegnete. So etwa einmal im Monat tauchte eine Herde von zehn, zwölf dieser Riesen im Hafen von Sorve auf und würgten den noch lebenden Inhalt ihrer Mägen in gigantische geflochtene Rutennetze, die zu eben diesem Zweck dort von den Gillies plaziert waren und die sie während der folgenden Wochen gemächlich abernteten. Ein gutes Geschäft für die Gillies, dachte Lawler - unzählige Tonnen kostenloser Nahrung. Schwerer verständlich allerdings war, was bei dem Geschäft für die Mäuler herauskam.
Delagard gluckste. »Da ist meine Konkurrenz. Wenn ich diese verdammten Mäuler killen könnte, dann könnte ich selber alles mögliche Zeug herschaffen und es den Gillies verkaufen.«
»Und womit würden sie dich bezahlen?«
»Na genau mit dem, was sie mir jetzt bezahlen für die Waren, die ich ihnen verkaufe«, sagte Delagard spöttisch. »Nützliche Grundstoffe. Kadmium, Kobalt, Kupfer, Zinn, Arsen, Jod, eben das ganze Zeug, aus dem dieser verdammte Ozean sich zusammensetzt. Nur eben in weit höheren Mengen als den Tröpfchen und Brosamen, die sie uns jetzt zukommen lassen oder die wir selbst bisher ausfällen können. Wenn wir die Mäuler irgendwie aus der Show rauskriegten... dann lieferte ich den Gillies ihr Fleisch, und sie überhäuften mich als Gegenleistung mit allen möglichen wertvollen netten Kleinigkeiten. Ein recht hübsches Geschäft, möchte ich dir nur sagen. Binnen fünf Jahren hätte ich sie soweit, daß sie mit ihrem gesamten Nahrungsbedarf von mir abhängig wären. Da würde ein Vermögen rauszuholen sein.«
»Und ich habe gedacht, du bist jetzt schon ein reicher Mann. Wieviel mehr brauchst du denn noch?«
»Du begreifst es einfach nicht, wie?«
»Wahrscheinlich ist es so«, sagte Lawler. »Aber ich bin ja auch nur Arzt und kein Geschäftsmann. Also, wo ist jetzt dein Patient?«
»Nicht so hastig, Doc. Ich bring dich so rasch hin, wie es geht.« Delagard fuhr mit einer raschen Geste der Hand seewärts in die Luft. »Siehst du das da drunten, an Jollys Pier? Das kleine Fischerboot? Da müssen wir hin.«
Jollys Pier ragte wie ein Finger aus verfaulten Kelp-Knüppeln etwa dreißig Meter über die Uferbefestigung in die Lagune hinaus. Ganz am Ende des Werftgeländes. Ausgebleicht, verquollen, brüchig von den Tiden und zerfressen von Bohrwürmern und Schabern, war die Pier noch immer mehr oder weniger intakt, ein ehrwürdiges Relikt einer verschwundenen Ära. Ein verrückter alter Seemann, der schon unendlich lange tot war, hatte das Ding gebaut; ein verwittertes Wrack von Mann, ein sonderbarer Kauz, der behauptet hatte, allein die ganze Welt umsegelt zu haben - sogar bis in das Leere Meer, wohin niemand, der noch einen Funken Verstand hatte, jemals fahren würde, ja sogar bis zum Rand der WASSER selbst wollte er vorgedrungen sein, jener fernen verbotenen Insel, dem Großen Geheimnis des Planeten, der sich offenbar nicht einmal die Gillies zu nähern wagten. Lawler erinnerte sich noch recht gut, wie er als Junge hier draußen am Ende der Pier gesessen und dem Alten zugehört hatte, wenn der seine wilden, aufregenden heldenhaften Geschichten von seinen wundersamen, aber unwahrscheinlichen Abenteuer spann. Das war in einer Zeit gewesen, ehe Delagard hier seine Bootswerft gebaut hatte. Aber aus irgendeinem Grund hatte Delagard den alten verrotteten Landesteg erhalten. Vielleicht hatte auch er die Geschichten des alten Mannes gern gehört, früher einmal.
Eins der Fischerboote Delagards, ein Coracle aus Rutengeflecht, mit Haut bedeckt, war an der Pier vertäut und tanzte in der Dünung. Nahe dabei stand ein Schuppen, der so alt aussah, daß er gut Jollys Behausung gewesen sein konnte; das war aber nicht
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