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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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entgegengesetzte Außenseiten darbietet.
    Es läßt sich nicht läugnen, in der Natur giebt es, wie im menschlichen Herzen, eine schreckliche Seite; man nimmt eine furchtbare Macht des Zorns an ihr wahr. Was auch die gute Absicht der Anhänger des Optimismus sey, mehr Tiefe wird in Denen fühlbar, die das Uebel nicht läugnen, aber den Zusammenhang dieses Uebels mit der Freiheit des Menschen und der Unsterblichkeit begreifen, welche sie ihm erwerben kann.
    Die mystischen Schriftsteller, von welchen ich in den vorhergehenden Capiteln geredet habe, sehen in dem Menscken einen Abriß der Welt und in der Welt das Sinnbild der Lehren des Christenthums. Die Natur erscheint ihnen als das körperliche Bild der Gottheit und sie stürzen sich immer tiefer und tiefer in die tiefe Bedeutung der Dinge und der Wesen.
    Unter den deutschen Schriftstellern, welche sich mit der Betrachtung der Natur beschäftigt haben in religiösen Beziehungen, verdienen zwei eine besondere Aufmerksamkeit; Novalis, als Dichter, und Schubert, als Physiker. Novalis, ein Mann von vornehmer Geburt, war von Jugend auf in alle die Studien eingeweiht, welche die neue Schule in Deutschland entwickelt hat; aber seine fromme Seele hat seinen Poesieen einen großen Charakter von Einfachheit gegeben. Er ist im sechs und zwanzigsten Jahre gestorben, und seitdem er nicht mehr ist, haben seine religiösen Gesänge in Deutschland eine rührende Berühmtheit erhalten. Der Vater dieses jungen Mannes ist ein Mitglied der mährischen Brüdergemeinden; und als er, einige Zeit nach dem Tode seines Sohnes, eine Gemeinde seiner Brüder besuchte, hörte er in ihrer Kirche die Poesieen seines Sohnes singen, welche die mährischen Brüder zu ihrer Erbauung angenommen hatten, ohne den Verfasser zu kennen.
    Unter den Werken dieses Novalis unterscheidet man Hymnen an die Nacht, welche mit großer Kraft die Andacht malen, die sie in der Seele entzündet. Der fröhlichen Lehre des Heidenthums entspricht der Glanz des Tages; aber der gestirnte Himmel ist der wahre Tempel eines reinen Cultus. „In der Dunkelheit der Nächte," sagt ein deutscher Dichter, „hat sich die Unsterblichkeit dem Menschen offenbart; das Licht der Sonne blendet die Augen, welche zu sehen glauben." Stanzen von Novalis über das Leben der Bergleute enthalten eine lebendige Poesie von ungemeiner Wirkung; er befragt die Erde in der Tiefe, weil sie Zeuge der verschiedenen Umwälzungen gewesen, welche die Natur erfahren hat; und zeigt ein heftiges Verlangen, immer tiefer zu dem Mittelpunkt unseres Erdballs vorzudringen. Der Abstich dieser unermeßlichen Neugierde mit dem zerbrechlichen Leben, das man an ihre Befriedigung setzen muß, weckt eine erhabene Rührung. Der Mensch auf der Erde befindet sich zwischen dem Unendlichen der Himmel und dem Unendlichen der Abgründe, und sein Leben in der Zeit schwankt gleichfalls zwischen zwei Ewigkeiten. Von allen Seiten von gränzenlosen Ideen und Gegenständen umgeben, erscheinen unzählige Gedanken ihm, wie tausend Lichter, die ihn verwirren und blenden.
    Novalis hat über die Natur im Allgemeinen geschrieben, und mit Recht nennt er sich den Schüler von Sais, weil in dieser Stadt der Tempel der Isis gegründet war, und weil die, von den Aegyptiern uns überlieferte Tradition zu dem Glauben führt, daß ihre Priester eine gründliche Kenntniß von den Gesetzen des Universums hatten.
    „Man steht mit der Natur," sagt Novalis, „grade in so unbegreiflich verschiedenen Verhältnissen, wie mit den Menschen; und, wie sie sich dem Kinde kindisch zeigt und sich gefällig in seinem kindlichen Herzen anschmiegt, so zeigt sie sich, dem Gotte göttlich und stimmt zu dessen hohem Geiste — — — So entstehen mannichfache Naturbetrachtungen, und wenn an einem Ende die Naturempfindung ein lustiger Einfall, eine Mahlzeit wird, so sieht man sie dort zur andächtigsten Religion verwandelt, einem ganzen Leben Richtung, Haltung und Bedeutung geben. Schon unter den kindlichen Völkern gab's solche ernste Gemüther, denen die Natur das Antlitz einer Gottheit war, indessen andere fröhliche Herzen sich nur auf sie zu Tische baten; die Luft war ihnen ein erquickender Trank, die Gestirne Lichter zum nächtlichen Tanz, und Pflanzen und Thiere nur köstliche Speisen, und so kam ihnen die Natur nicht wie ein stiller, wundervoller Tempel, sondern wie eine lustige Küche und Speisekammer vor. Dazwischen waren andere sinnigere Seelen, die in der gegenwärtigen Natur nur große, aber verwilderte

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