Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
Vom Netzwerk:
Außerordentliche und Unbekannte in den Harmonieen des Geistes und des Körpers kennen.
    In der physischen Ordnung haben Unfälle und Unglück etwas so Schnelles, so Unerbittliches, so Unerwartetes, daß sie an das Wunderbare gränzen; die Krankheit und ihre Wuthanfälle sind wie ein böses Leben, das sich plötzlich des friedlichen Lebens bemächtigt. Die liebenden Gefühle des Herzens machen uns die Barbarei jener Natur, welche man uns sanft darstellen möchte, nur allzu fühlbar. Wie viel Gefahren bedrohen nicht ein geliebtes Haupt! Unter wie vielen Umgestaltungen verkleidet sich nicht der Tod um uns her. Es giebt keinen schönen Tag, der nicht den Blitz verbergen, keine Blüthe, deren Säfte nicht vergiftet seyn: keinen Lufthauch, der nicht eine tödtliche Ansteckung mit sich führen könnte; die Natur scheint eine eifersüchtige Liebende zu seyn, die bereit ist, die Brust des Menschen zu durchstoßen in dem Augenblick, wo er in ihren Gaben schwelgt.
    Wie den Zweck aller dieser Erscheinungen begreifen, wenn man sich an die gewöhnliche Verkettung unserer Arten zu urtheilen hält? Wie kann man die Thiere betrachten, ohne sich in das Erstaunen zu versenken, das ihr geheimnißvolles Daseyn erzeugt? Ein Dichter hat von ihnen gesagt: sie seyen die Träume der Natur, deren Erwachen der Mensch sey. Zu welchem Zweck sind sie geschaffen? Was bedeuten diese Blicke, welche mit einer dunkeln Wolke bedeckt scheinen, hinter der ein Gedanke hervorbrechen möchte? In welchem Verhältniß stehen sie zu uns? Was hat es auf sich mit dem Theil des Lebens, den sie genießen? Ein Vogel überlebt den Mann von Genie, und ich weiß nicht, welche seltsame Verzweiflung das Herz ergreift, wenn man den Gegenstand seiner Liebe verloren hat, und man den Hauch des Daseyns noch ein Insekt beleben sieht, das sich auf eben der Erde bewegt, von welcher das Edelste verschwunden ist.
    Die Betrachtung der Natur drückt den Gedanken zu Boden. Man fühlt, daß man mit ihr in Verhältnissen steht, welche nichts gemein haben mit dem Guten und Bösen, das sie uns zufügen kann; aber ihre sichtbare Seele sucht die unsrige in unserem Busen auf und unterihält sich mit uns. Wenn die Finsternisse uns schrecken, so sind es nicht immer die Gefahren, denen sie aussetzen, was wir fürchten; es ist vielmehr die Sympathie der Nacht mit allen Arten von Betäubungen und Schmerzen, von welchen wir durchdrungen sind. Die Sonne im Gegentheil ist ein Ausfluß der Gottheit, gleichsam der glänzende Bote eines erhörten Gebets; ihre Strahlen senken sich nieder, nicht blos um die Arbeiten des Menschen zu leiten, sondern um der Natur Liebe auszudrücken.
    Die Blumen wenden sich nach dem Lichte, um es zu empfangen; sie schließen sich des Nachts, und Morgens und Abends scheinen sie ihre Lobgesange in Wohlgerüchen auszuathmen. Erzieht man diese Blumen in der Dunkelheit, so verlieren sie ihre gewohnten Farben und erblassen; aber giebt man sie dem Tageslicht zurück, so spiegelt die Sonne in ihnen, wie in dem Regenbogen, ihre wechselnde Strahlen, und man möchte sagen, sie beschaue sich mit Stolz in der Schönheit, die von ihr ausgegangen ist. Der Schlummer der Pflanzen während gewisser Stunden und gewisser Jahreszeiten steht in Uebereinstimmung mit der Bewegung der Erde; die Hälfte der Pflanzen, der Thiere, der Menschen, zieht sie im Zustande des Schlafs durch die Regionen, die sie durchläuft. Die Reisenden in dem großen Schiffe, Welt genannt, lassen sich wiegen in dem großen Zirkel, den ihre kreisende Wohnung beschreibt.
    Der Friede und die Zwietracht, die Harmonie und die Dissonanz, welche ein geheimes Band vereinigt, sind die ersten Gesetze der Natur; und mag sie sich furchtbar oder bezaubernd zeigen, die erhabene Einheit, die sie bezeichnet, stellt sich immer unverkennbar dar. Die Flamme stürzt in Wellen, wie die Bergströme; die Wolken, welche die Lüfte durchreisen, nehmen bisweilen die Gestalt von Berg und Thal an, und scheinen spielend das Bild der Erde nachzumachen. In der Genesis heißt es: „der Allmächtige trennte die Gewässer der Erde von denen des Himmels, und befestigte sie in den Lüften." Wirklich ist der Himmel ein edler Verbündeter des Oceans; das Blau des Firmaments zeigt sich in den Wellen, und die Wogen malen sich in den Wolken. Bisweilen, wenn das Gewitter sich in der Atmosphäre bildet, brüllt von weitem das Meer, und man möchte sagen, es antworte durch die Unruhe seiner Fluthen auf das geheimnißvolle Signal, das es vom Gewitter empfangen

Weitere Kostenlose Bücher