Ueber Deutschland
aus Gleichgültigkeit, sondern weil er macht, daß wir das Anziehende und Schöne in allen Dingen fühlen. Die Vernunft gewährt kein Glück an der Stelle dessen, was sie nimmt; der Enthusiasmus findet in der Träumerei des Herzens und in dem Umfange des Gedankens, was Fanatismus und Leidenschaft in eine einzige Idee oder in einen einzigen Gegenstand einschließen. Durch seine Allgemeinheit ist dies Gefühl dem Gedanken und der Einbildungskraft höchst günstig.
Die Gesellschaft entwickelt den Verstand, aber nur die Beschaulichkeit bildet das Genie. Die Eigenliebe ist die Triebfeder der Länder, wo die Gesellschaft herrscht und die Gesellschaft führt notwendig zu der Spötterei, welche allen Enthusiasmus zerstört.
Leugnen läßt sich nicht, daß es sehr ergötzlich ist, das Lächerliche aufzufassen und mit Anmuth und Fröhlichkeit zu malen. Vielleicht würde man besser daran thun, sich dieses Vergnügen zu versagen; indeß ist diese Art von Spötterei nicht die, deren Folgen am meisten zu fürchten sind: Die, welche sich an Ideen und Gefühle hängt, ist die schädlichste von allen; denn sie schleicht sich in die Quelle starker und hochherziger Gesinnungen. Der Mensch übt eine große Herrschaft über den Menschen, und von allen Uebeln, die er seinem Nächsten zufügen kann, ist das größte vielleicht, wenn er das Phantom des Lächerlichen zwischen großmüthige Bewegungen und die Handlungen stellt, welche jene einflößen.
Die Liebe, das Genie, das Talent, der Schmerz sogar — alle diese heiligen Dinge sind der Ironie ausgesetzt, und es läßt sich nie berechnen, wie weit die Herrschaft der Ironie sich erstrecken kann. In der Bosheit liegt etwas Reizendes; so wie in der Güte etwas Schwaches liegt. Die Bewunderung für das Große kann durch die Spötterei außer Fassung gebracht werden, und wer auf nichts eine Wichtigkeit legt, gewinnt das Ansehn, als sey er über Alles erhaben. Vertheidigt also der Enthusiasmus weder unser Herz noch unseren Geist; so lassen sie sich durch diese Anschwärzung des Schönen fangen, welche die Unverschämtheit mit der Fröhlichkeit vereinigt.
Der Gesellschaftsgeist ist so geeignet, daß man sich bisweilen zum Lachen zwingt, und daß man sich noch weit öfter schämt zu weinen. Woher das? Daher, daß die Eigenliebe sich weit mehr in der Spötterei als in der Rührung gesichert glaubt. Man muß schon sehr auf seinen Geist rechnen, wenn man gegen einen Spott ernsthaft zu bleiben wagen will; es gehört viel Kraft dazu, um Gefühle zu zeigen, welche ins Lächerliche gezogen werden können. Fontenelle sagte: „ich bin achtzig Jahre alt, ich bin Franzose, aber mein ganzes Leben hindurch habe ich nie die unbedeutendste Tugend auf irgend eine Weise lächerlich gemacht" Fontenelle war kein gefühlvoller Mann, aber er hatte viel Verstand; und so oft man mit irgend einer Ueberlegenheit ausgerüstet ist; fühlt man das Bedürfniß des Ernstes in der menschlichen Natur. Nur die Mittelmäßigen möchten, daß der Grund von Allem Sand wäre, damit niemand auf Erden eine dauerhaftere Spur zurücklassen möge, als die ihrige ist.
Bei sich selbst haben die Deutschen nicht zu ringen mit den Feinden des Enthusiasmus; und dies ist ein Hinderniß weniger für ausgezeichnete Männer. Der Geist wird schärfer im Kampfe; aber das Talent bedarf des Vertrauens. Glauben muß man an Bewunderung, an Ruhm, an Unsterblichkeit, um die Eingebung des Genies zu erfahren; und was den Unterschied der Jahrhunderte ausmacht, ist nicht sowohl die Natur, die immer gleich verschwenderisch mit ihren Gaben ist, als vielmehr die herrschende Meinung in den Zeiten, worin man lebt. Geht die Tendenz dieser Meinung auf Enthusiasmus, so erheben sich große Männer von allen Seiten; wird hingegen die Mutlosigkeit proklamirt, wie man sonst zu edlen Anstrengungen anregte: so bleibt von der Literatur nichts weiter übrig, als Richter der Vergangenheit.
Die furchtbaren Begebenheiten, deren Zeugen wir gewesen sind, haben die Gemüther zu Grunde gerichtet, und alles, was Gedanke heißt, ist verwittert und verbleicht neben der Allmacht des Handelns. Mannichfaltige Umstände haben die Geister bestimmt, alle Seiten derselben Fragen zu vertheidigen, und hervorgegangen ist daraus, daß man nicht mehr an Ideen glaubt, oder daß man sie höchstens als Mitlel zum Zweck betrachtet. Die Ueberzeugung scheint unserem Zeitalter nicht anzugehören; und wenn Jemand sagt, er sey der oder der Meinung, so denket man dies so, als zeige er auf eine
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