Ueber Deutschland
philosophisch, die zweiten poetisch, die dritten mysteriös." In der That ist die so verschiedene Einwirkung der Jahre auf die Natur, auf die Werke der Menschen und die lebenden Geschöpfe etwas Merkwürdiges. Die Zeit beleidigt nur den Menschen. Wenn Felsen zertrümmern, wenn Gebirge in Thäler sich versenken, so verändert die Erde nur ihre Gestalt. Ein neuer Anblick weckt in unserem Geiste neue Gedanken, und die belebende Kraft leidet eine Umwandlung, aber nicht ein Vergehen. Die Trümmer der schönen Künste sprechen zur Einbildungskraft; sie bauet wieder auf, was die Zeit verschüttet hat, und vielleicht hat nie ein Meisterstück in seinem vollsten Glanze die Idee von Größe gegeben, die sich aus den Trümmern desselben entwickelt. Man stellt sich halbzerstörte Denkmäler mit allen den Schönheiten bekleidet dar, die man bei dem, was man bedauert, voraussetzt. Aber wieviel fehlt daran, daß dem eben so sey bei den Zerstörungen des Alters!
Kaum kann man glauben, daß die Jugend dieses Gesicht verschönerte, von welchem der Tod bereits Besitz genommen hat. Einige Physiognomieen entkommen durch den Glanz des Gemüths der Herabwürdigung; aber die menschliche Gestalt in ihrem Verfalle nimmt oft einen gemeinen Ausdruck an, der kaum das Mitleid aufkommen läßt. Die Thiere verlieren zwar mit den Jahren ihre Kraft und Beweglichkeit; aber die Farben des Lebens verwandeln sich für sie nicht in bleichgelbe Farben, und ihre erloschenen Augen gleichen nicht den Leichenkerzen, welche blasses Licht auf ein verwelktes Gesicht werfen.
Selbst dann, wenn in der Blüthe des Alters das Leben aus der Brust des Menschen weicht, kann weder die Bewunderung, die von den Gewaltsamkeiten der Natur erzeugt wird, noch jene Teilnahme, welche die Ueberreste der Denkmäler anregen, sich an den entseelten Körper der schönsten aller Kreaturen anschließen. Die Liebe, welche diese Zaubergestalt umfaßte — die Liebe kann die Ueberbleibsel nicht ertragen, und von dem Menschen bleibt auf Erden nichts zurück, was nicht schaudern machte, sogar seine Freunde.
Ach! welche Lehre liegt in dieser schaudervollen Zerstörung, die nur das menschliche Geschlecht trifft! Sie sollte nicht anzeigen, daß das Leben des Menschen anderwärts ist? Würde die Natur ihn in einem so hohen Grade demüthigen, wenn die Gottheit ihn nicht wieder erheben wollte?
Die wahren Endursachen der Natur sind ihre Verhältnisse zu unserem Gemüth, zu unserem unsterblichen Schicksal. Die physischen Gegenstände selbst haben eine Bestimmung, die sich nicht auf das kurze Daseyn des Menschen hienieden beschränkt; sie sind da, um zur Entwickelung unseres Gedankens, zum Werke unseres sittlichen Lebens beizutragen. Die Erscheinungen der Natur sollen nicht blos nach den Gesetzen der Materie begriffen werben, wie gut kombinirt diese Gesetze auch seyn mögen; sie haben einen philosophischen Sinn und einen religiösen Zweck, dessen Umfang selbst die aufmerksamste Betrachtung nie ganz ausmessen wird.
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Zehntes Capitel. Von dem Enthusiasmus.
Viele Menschen sind gegen den Enthusiasmus eingenommen; sie vermengen ihn mit dem Fanatismus, und dies ist ein arger Irrthum. Der Fanatismus ist eine ausschließende Leidenschaft, deren Gegenstand eine Meinung ist; der Enthusiasmus schließt sich an die allgemeine Harmonie an; er ist die Liebe des Schönen, die Erhebung des Gemüths, der Genuß der Aufopferung, vereinigt in Einem Gefühl, welches zugleich Größe und Ruhe in sich trägt. Die edelste Definition desselben ist der wörtliche Sinn bei den Griechen. Enthusiasmus bedeutet: Gott in uns. Wirklich, wenn die Existenz des Menschen ausgedehnt ist, so hat sie etwas Göttliches.
Alles, was uns zur Aufopferung unseres eigenen Wohlseyns oder unseres Lebens treibt, rührt beinahe immer vom Enthusiasmus her; denn der gerade Weg der egoistischen Vernunft muß seyn, sich selbst für das Ziel aller Anstrengungen zu nehmen, und von dieser Welt nichts weiter zu achten, als Gesundheit, Geld und Macht. Ohne allen Zweifel reicht das Gewissen aus, um den allerfrostigsten Charakter aus der Bahn der Tugend zu leiten; aber der Enthusiasmus verhält sich zum Gewissen, wie die Ehre zur Pflicht. Es giebt in uns eine Fülle des Gemüths, die man dem, was schön ist, mit Freuden weiht, wenn die Forderungen des Guten erfüllt sind. Genie und Einbildungskraft bedürfen auch einiger Sorge für ihr Glück in dieser Welt; und das Gesetz der Pflicht reicht nicht aus, um alle Wunder des Herzens
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