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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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zählte, blieb alles an seinem Ort, konnte man dem Chaos und dem Unheil trotzen.
    Es war nur eine Frage der Zeit, wann die erschöpfte Oberfläche der Welt von der Sonne versengt würde. Und sich das sumpfige Weideland seiner Heimat in eine Wüste verwandeln würde. Verdorrt und öde. Sie brachten die Dürre mit.
    Armut.
    Krankheit.
    Und dann sah er ihn dort liegen.
    Glatt und weiß. Er passte genau in eine Hand, etwas größer als eine Murmel. Nicht perfekt rund, aber dennoch schlicht und schön. Er lag dort bereits eine ganze Weile, vielleicht sogar schon mehrere Jahre, und er hatte ihn nie bemerkt. Wie würde er sich anfühlen, überlegte er. Butterweich und warm oder eher kühl und glatt?
    Sollte er?
    Vor allem wollte er wissen, wonach er roch.
    Bestimmt nach frischem, sprudelndem Quellwasser.
    Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, ein unbehagliches Gefühl. Er könnte einfach so tun, als gäbe es diesen Kiesel dort nicht. Er könnte über ihn hinwegsehen. So wie er es den ganzen Morgen und all die Jahre bereits getan hatte.
    Da kam auf der gegenüberliegenden Straßenseite schon wieder ein Bus.
    Der Kiesel rief ihn. Drängend. Er schaute.
    Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Kopfhaut. Er lockerte seine Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf.
    Er würde den Kiesel aufheben und ihn in der Sakkotasche verschwinden lassen. Immer dann, wenn das Pochen in seinem Kopf anschwoll, würde er ihn in die Hand nehmen, um wieder ruhig zu werden.
    Er schätzte den Abstand ein.
    Sein Herz raste, und er atmete schwer.
    Raubbau betrieben sie.
    Zogen von einem fruchtbaren Ort zum nächsten.
    Und nach ihrem Verlassen blieb nichts mehr übrig.
    Ihr Glaube breitete sich wie ein schwarzer Ölfleck aus und beschmutzte alle. Da halfen keine Mauern. Nichts war mehr sicher.
    Verunreinigte Luftpartikel gelangten tief in seine Lunge und nisteten sich dort ein. Um wuchern zu können.
    Er überlegte, ob es sicherer sei, nicht mehr hinauszugehen. In seinem Apartment Luftfilter einbauen zu lassen. Alles hermetisch abzuschließen, gegen Strahlung und Verschmutzung.
    Bei drei hatte er den Spiegelstein verlassen. Er brauchte acht Schritte, bis er den Kiesel erreicht hatte.
    Er hörte, wie die Frau mit dem Shopper aufschrie. Zuerst war es nur so, als riefe sie irgendetwas. Doch mitten im Satz wandelte sich ihr Rufen zu einem schrillen Schrei.
    Als er sich bückte, um den Stein aufzuheben, sah er aus dem linken Augenwinkel einen Lastwagen herankommen. Der Kiesel in seiner Hand fühlte sich kühl an. Er fand es seltsam, dass es dann, obwohl er das prasselnde Geräusch der Steine nicht gehört hatte, einen ohrenbetäubenden Lärm gab.
    Als würde ein riesiger Felsblock von einem Berg herabstürzen.

Meneer Dubois
    »Chagrin, c’est tout ce que tu es.«
    »Oui, mais je suis ton chagrin et je ne te quitterai jamais«, hatte sie ihm geantwortet .
    »Kennst du unsere Einrichtung?«
    »Ja, das kann man wohl sagen.« Calixe betrachtete die Frau, die sich auf der anderen Seite des Schreibtischs konzentriert ihre Bewerbungsmappe ansah. »Sie erkennen mich nicht, stimmt’s?«
    Nun schaute die Frau von den Unterlagen auf. Sie schob ihre stromlinienförmige Lesebrille ein Stück nach unten, bis sie auf der Spitze der Nase in einem fein ausgewogenen Balanceakt ruhte.
    Ihr Blick tastete Calixes Gesicht ab. Sie lächelte.
    Calixe starrte unverwandt den Mund der Frau an. Das förmliche Lächeln ließ sie unbeeindruckt. Es wirkte wie frisch aus einer sterilen Verpackung entnommen. Funktional, aber empfindungslos.
    Ihr Blick glitt von dem Mund wieder zurück zu der Lesebrille, die noch immer auf der Nasenspitze ruhte, perfekt und unbeweglich. Schließlich sah sie abwartend in die Augen der lächelnden Frau, die ihr gegenübersaß.
    »Oktober 2002, ein halbes Jahr Praktikum. Danach ein schlechtes Zeugnis von der damaligen Leitung, aber zum Glück kein vergeudetes Jahr, dank harter Arbeit.«
    Calixe teilte diese Informationen gelassen mit. Ihrem Gesicht war jedoch anzumerken, dass sie noch immer, auch nach all den Jahren, den Groll in sich trug. Ihre Stimme klang fest und deutlich.
    Die Frau auf der anderen Seite des Schreibtischs unterdrückte hastig ihr Lächeln und schob mit dem Zeigefinger die Brille wieder in die richtige Position. Erneut ging sie die Bewerbungsunterlagen durch.
    »Ich lese hier, dass du zwischenzeitlich drei Jahre in der Einrichtung Ter Weide gearbeitet hast. Nur Lobenswertes über deine Arbeit dort. Schade, dass es mit

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