Über Gott und die Welt
mechanischen Ordnung und ihren mathematischen Gesetzen, reguliert durch die eherne Determination der Gestirne; und da Gott ewig ist, ist auch die Welt in ihrer Ordnung ewig. Die Philosophie studiert diese Ordnung, das heißt die Natur. Die Menschen sind in der Lage, sie zu verstehen, da in allen ein und dasselbe Verstandesprinzip herrscht, andernfalls würde ein jeder die Dinge auf seine Art sehen und man würde einander nicht mehr verstehen. Nach diesen Prämissen war nun die materialistische Konklusion unvermeidbar: Die Welt ist ewig, sie wird von einem voraussehbaren Determinismus geregelt, und wenn ein einziger Intellekt in allen Menschen wohnt, gibt es keine individuelle unsterbliche Seele. Wenn der Koran etwas anderes lehrt, muß der Philosoph philosophisch glauben, was seine Wissenschaft ihm beweist, und dann, ohne sich allzu viele Probleme zu stellen, gläubig glauben, was die geoffenbarte Wahrheit ihm auferlegt. Es gibt zwei Wahrheiten, und die eine darf die andere nicht stören.
Averroës hat zu luziden Schlußfolgerungen geführt, was in einem rigorosen Aristotelismus angelegt war, und dieser Luzidität verdankte er seinen Erfolg in Paris, bei den Magistern der Fakultät der freien Künste, besonders bei jenem Siger von Brabant, den Dante ins Paradies neben Thomas setzt, obwohl es gerade Thomas war, dem Siger den Zusammenbruch seiner wissenschaftlichen Karriere und die Verbannung in die Nebenkapitel der Philosophiegeschichten verdankt.
Das kulturpolitische Spiel, das Thomas in Angriff nimmt, ist also ein Zweifrontenkampf: Einerseits muß er Aristoteles für die zeitgenössische Theologie akzeptabel machen, andererseits muß er ihn von der Einvernahme durch die Averroisten befreien. Dabei stößt er jedoch auf ein Handicap: Er gehört zu den Bettelorden, die das Pech hatten, einen Joachim von Fiore hervorzubringen und mit ihm eine weitere Bande von apokalyptischen Ketzern, die brandgefährlich sind für den Orden, für die Kirche und für den Staat. Infolgedessen haben die reaktionären Magister der theologischen Fakultät, allen voran der schreckliche Guillaume de Saint-Amour, leichtes Spiel mit ihrer Behauptung, die Bettelbrüder seien allesamt joachimitische Ketzer, was man schon daran sehen könne, daß sie Aristoteles lehren wollten, den Meister der gottlosen materialistischen Averroisten. Man kennt die Methode, das gleiche Spiel treibt heute ein Gabrio Lombardi: Wer für die Scheidung ist, ist ein Freund der Abtreibungsfreunde, und folglich ist er auch für die Droge!
Thomas indessen war weder ein Ketzer noch ein Revolutionär.
Man hat ihn einen »Schlichter« genannt. Für ihn ging es darum, die neue Wissenschaft in Übereinstimmung mit der Wissenschaft von der Offenbarung zu bringen und alles zu ändern, damit alles so blieb, wie es war.
Doch in diesen Plan investierte er einen außergewöhnlichen sensus communis oder common sense sowie (als Meister theologischer Subtilitäten) einen starken Sinn für die natürliche Wirklichkeit und das irdische Gleichgewicht. Stellen wir klar, daß er nicht das Christentum aristotelisierte, sondern Aristoteles christianisierte.
Stellen wir klar, daß er niemals gedacht hat, mit der Vernunft sei alles erklärbar, sondern mit dem Glauben sei alles verständlich. Er hatte nur sagen wollen, daß fi des und ratio kein Widerspruch seien und daß man sich daher den Luxus eines vernünftigen Denkens leisten könne, um derart das Universum der Halluzination zu verlassen. Und so versteht man, warum in der Architektur seiner Werke die ersten Kapitel allein von Gott und den Engeln, der Seele, den Tugenden und dem ewigen Leben handeln. Doch innerhalb dieser Kapitel fi ndet dann alles seinen mehr noch vernünftigen als rationalen Platz. Im Innern der theologischen Architektur versteht man, wieso der Mensch die Dinge erkennt: weil sein Körper in einer bestimmten Weise gemacht ist; weil er, um sich zu entscheiden, die Fakten und Meinungen prüfen und die Widersprüche aufl ösen muß, ohne sie zu verschleiern, vielmehr im Versuch, sie in aller Offenheit zu versöhnen. Womit Thomas der Kirche eine Lehre wiedergibt, die, ohne ihr auch nur ein Gran ihrer Macht zu nehmen, den Gemeinwesen die Freiheit läßt zu entscheiden, ob sie Monarchien oder Republiken sein wollen, und die beispielsweise zwischen den verschiedenen Typen und Rechten des Eigentums unterscheidet und zum Ergebnis gelangt, daß es zwar ein Recht auf Eigentum gibt, aber nur in Hinblick auf den Besitz, nicht auf
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