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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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seinem Schlafzimmer ergriffen worden. Es schien ihn kaum geweckt zu haben, daß die Beamten der Einsatzpolizei seine Wohnungstür einschlugen. Als Rune Jansson das Schlafzimmer betrat, rissen zwei Mann den Verdächtigen in sitzende Stellung hoch und drehten sein Gesicht zu Rune Jansson hin. Der Verdächtige schien nicht sonderlich gut in Form zu sein. Er war unrasiert und hatte in seiner Kleidung geschlafen.
    »Du bist vorläufig festgenommen, und ich gehe davon aus, daß dir die Gründe dafür klar sind«, sagte Rune Jansson. Er erhielt keine Antwort, sondern vernahm nur einige gurgelnde Laute, die sich wie unterdrückte Flüche anhörten. Das lag vermutlich daran, daß einer der Einsatzbeamten den Verdächtigen in einem allzu harten Griff hielt.
    Es war jedoch keine Antwort nötig. Auf dem Nachttisch neben dem zerwühlten Doppelbett mit sichtlich ungewaschenen Bettlaken lag ein schwarzer Revolver mit einem hellen Holzgriff. Auf der Unterseite des Revolverlaufs saß ein kleines Ding, das Rune Jansson erst vor etwa einer Stunde zum ersten Mal gesehen hatte. Er ging zum Nachttisch hin, zog eine Plastiktüte aus der Tasche, nahm einen Kugelschreiber, der auf dem Nachttisch lag, steckte ihn in den Abzugsbügel des Revolvers und ließ diesen in die Plastiktüte gleiten.
    »Das hier ist natürlich die Mordwaffe?« fragte er in einem Tonfall, als wäre es nur eine beiläufige Feststellung.
    »Willst du mir nicht meine Rechte vorlesen?« fragte der Verdächtige. Nach einem diskreten Kopfnicken Rune Janssons wurde er jetzt in einem weniger harten Polizeigriff um Hals und Kopf gehalten.
    »In Schweden sind wir nicht dazu verpflichtet«, entgegnete Rune Jansson, der plötzlich merklich munterer wurde. »Das hast du in amerikanischen Filmen gesehen. Oberstaatsanwalt Jan Danielsson hat vor fünfundvierzig Minuten einen Festnahmebefehl gegen dich unterzeichnet, und das bedeutet, daß wir dich bis auf weiteres einsperren. Und wenn die kriminaltechnische Untersuchung deines Revolvers das ergibt, was ich glaube, wirst du für sehr lange Zeit hinter Gittern sitzen.«
    »Ich hätte noch viel mehr Leute erschossen, wenn ihr euch nicht eingemischt hättet, ihr kleinen Scheißbullen «, sagte der Mörder und betonte das Wort Scheißbullen so hart, daß seine Stimme sich plötzlich überschlug. Das löste bei den versammelten Einsatzbeamten eine belustigte Reaktion aus, die er sich kaum gewünscht hatte.
    »Jetzt machen wir folgendes«, sagte Rune Jansson. »Sag uns, wo wir dein Rasierzeug, saubere Wäsche und solche Dinge finden können, dann erledigen wir das.«
    Nachdem die Einsatzbeamten den Mörder hinausgeschleift hatten und einer von ihnen einige Kleidungsstücke und ein Reisenecessaire mit dem Allernötigsten für eine längere Untersuchungshaft zusammengesucht hatte, machte Rune Jansson einen kurzen Rundgang durch die Wohnung. Es war eine Eckwohnung mit vier Wohnzimmern in einer Reihe, die durch Schiebetüren verbunden waren. Sehr hell, sehr schön. Die Räume waren kostspielig eingerichtet. Die Möbel schienen pro Zimmer das Jahresgehalt eines normalen Polizeibeamten gekostet zu haben. Das Ganze wirkte, als hätte jemand sehr bewußt in jedem Zimmer einen anderen Stil gewählt. Rune Jansson glaubte etwas Englisches identifizieren zu können und nebenan etwas entschieden Schwedisches. Hinzu kam die Kunst an den Wänden, obwohl hier und da verdächtig große Lücken zu sehen waren.
    Ein einst reicher Mann auf der schiefen Bahn, das war es, was diese Räume erzählten. Es stimmte überdies sehr gut mit dem überein, was das Strafregister zu berichten hatte. Von dem hintersten Eckzimmer konnte man zum Strandvägen und zum Wasser sehen.
    All dies war durchaus vorstellbar. Ruinierte Menschen haben schon immer zu Gewalt gegriffen. Zu der Zeit allerdings, als diese Menschen sich vor dem Casino in Monte Carlo einen Schuß in die Stirn jagten, ging es noch gentlemanmäßiger zu. Der nächste Schritt in der Entwicklung bestand darin, erst die Familie zu erschießen, damit ihr die Schande erspart blieb, in Armut zu leben; dieser Trieb, im Untergang andere mitzureißen, war in der Kriminalgeschichte wohlbekannt. Johan Ludwig Runestrand hatte dieses Verhalten nur modernisiert. Aus Mangel an Familie, da diese schon außer Reichweite war, ob nun entehrt oder nicht, und auch nicht mehr reich, hatte Johan Ludwig auf Ausländer zurückgegriffen. Die beiden Mordopfer vor dem kurdischen Buchcafé wurden so zu bloßen Symbolen der Familie, mit der er

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