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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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keinen telepathischen Befehl erhalten.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Rune Jansson. »Ich habe ein wenig in den Ermittlungsakten auf meinem Tisch geblättert. Dann hatte ich einen Einfall und ging zu dem einzigen Waffengeschäft, das ich in der Stadt kenne. Und das war gleich ein Treffer. Die hatten übrigens der Polizei schon einen Tip gegeben, und so bekam ich gleich zu hören: Ja, aber wir haben doch schon mit der Polizei gesprochen. Du weißt schon.«
    »Eine traurige Geschichte«, sagte Willy Svensén zögernd.
    »Aber… wie wir die Sache auch drehen und wenden, haben wir trotzdem einen Ermittlungsabschnitt, bei dem wir uns darauf konzentrieren sollten, so schnell wie möglich zu Ergebnissen zu kommen.«
    Rune Jansson erhob sich, streckte sich und nickte. Dann verteilten sie schnell und routinemäßig die dringlichsten Aufgaben. Willy Svensén sollte dafür sorgen, daß die mutmaßliche Mordwaffe zur kriminaltechnischen Untersuchung geschickt wurde, Rune Jansson wollte sich um die Kontakte zu Oberstaatsanwalt Jan Danielsson kümmern und ein Beschlagnahmeprotokoll erstellen. Willy Svensén wiederum sollte eine gründliche Hausdurchsuchung bei dem Inhaftierten organisieren. Sie einigten sich darauf, mit einem Verhör zu warten, bis sie von den Kriminaltechnikern in Linköping definitive Ergebnisse in der Hand hatten. Nichts sprach dagegen, daß der verhaftete Johan Ludwig unterdessen in seiner Zelle lag und schwitzte. Ganz im Gegenteil, alle Erfahrung deutete darauf hin, daß die Kombination aus längerer angsterfüllter Einsamkeit in einer Haftzelle und definitiven technischen Beweisen die Vernehmung verdächtiger Mörder erleichterte.
    Als Rune Jansson seinen recht geringen Anteil an der Papierarbeit erledigt hatte, begab er sich von der Staatsanwaltschaft wieder in sein Zimmer hinauf und räumte unter den Resten dessen auf, was einmal die umfassende Ermittlung der Stockholmer Polizei gegen verdächtige Kurden gewesen war.
    Dann setzte er sich eine Zeitlang hinter seinen leergeräumten Schreibtisch und bekämpfte den Wunsch, diesen Arbeitstag ganz einfach zu beenden und nach Hause zu gehen, um ein wenig fernzusehen, eventuell einen kleinen Whisky zu trinken und bis zum nächsten Tag auf jede Arbeit zu pfeifen. Manchmal konnte eine solche Kur den Kopf freimachen und neue Kräfte hervorzaubern. Es war auch gut für das Familienleben, wenn er nicht still dasaß und über Dinge nachgrübelte, von denen er doch nicht erzählen wollte.
    In seinem verschlossenen Panzerschrank standen jedoch zwei schwarze Aktenordner und verlangten beharrlich, daß er ihnen seine Aufmerksamkeit zuwandte. Er hatte das Gefühl, als könnte er hören, wie sie ihn anbrüllten. Er stand resigniert auf, sah auf die Armbanduhr und gestand sich ein, daß er noch eine Stunde lesen konnte. Dann nahm er sich die Ordner vor.
    Er begann am Anfang. Das Material war in chronologischer Reihenfolge geordnet, angefangen in Umeå und bei dem ersten Opfer Abdel Rahman Fayad.
    Zunächst las er einen ausführlichen Lebenslauf. Dieser baute auf dem ersten Verhör Fayads auf, das in Schweden stattgefunden hatte, nämlich bei der Ausländerpolizei in Trelleborg.
    Zu diesem Zeitpunkt, 1983, war er ein noch ganz junger Mann gewesen, erstaunlich jung in Hinblick darauf, was er schon erlebt hatte. Er war im Flüchtlingslager Shatila in der Nähe von Beirut geboren und hatte dort gelebt, bis das Lager eines Abends von einer libanesischen Rechtsgruppe überfallen wurde, die mit Israel verbündet war. Dabei wurden zahlreiche Menschen getötet. Die Überlebenden wurden vertrieben. Abdel Rahman Fayads Vater, drei minderjährige Brüder sowie zwei Schwestern gehörten zu den Opfern des Massakers.
    Damals gehörte Abdel Rahman einer Gruppe junger Leute an, die einer bestimmten Palästinensergruppe als Boten und Späher zur Verfügung standen. Diese Gruppe war eine Mischung aus Leibwache für Arafat, Eliteverband und Nachrichtendienst, die Einheit Nr. 17.
    Abdel Rahman Fayad hatte nicht an der allgemeinen Räumung des Libanon teilgenommen, welche die PLO notgedrungen akzeptieren mußte, um so die israelische Besetzung des Landes zu beenden. Er war als eine Art Undercoveragent der Einheit Nr. 17 im Land geblieben. Doch nach einem bewaffneten Zusammenstoß mit einer rivalisierenden Palästinensergruppe, die der sogenannten Verweigererfront angehörte, der Organisation, die den bewaffneten Kampf gegen Israel als den einzig möglichen Weg ansah, wurde seine Situation

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