Über jeden Verdacht erhaben
Nachricht führte sogar dazu, daß die schwedische Krone auf den internationalen Devisenmärkten erneut stärker wurde:
Hamilton spurlos aus verschlossener Gefängniszelle verschwunden!
Erik Ponti ging fast wie ein Schlafwandler zu dem wartenden Jäger auf dem überdimensionierten Parkplatz neben dem Funkhaus hinunter.
»Ach ja, wie war doch noch dein Name?« fragte er leicht geistesabwesend.
»Gustafsson«, erwiderte der Jäger.
»Ich habe natürlich den Vornamen gemeint«, sagte Erik Ponti mit der Andeutung eines Lächelns.
»Gilbert. Wirklich«, sagte der Jäger. »Na ja, du weißt schon, genau wie dieser…«
»Ja, genau wie der«, sagte Erik Ponti und blickte kurz zu der tristen Fassade des Funkhauses hoch, vor der ein paar Dohlen dem Frühlingshimmel entgegentaumelten. »Es sieht so aus, Gilbert«, fuhr er fort und schenkte dem Mann ein breites Lächeln. »Wir haben vor ein paar Minuten eine Nachricht gebracht, die dir sicher gefallen wird. Carl Gustaf Gilbert ist ausgebrochen.«
»Ja, aber das ist ja einfach zu gut!« rief der Jäger spontan aus.
»Ja, und wir dürften nicht die einzigen sein, die das finden«, sagte Erik Ponti.
Das waren sie auch nicht. An diesem Abend wurde Stockholm von einer Demonstration überrascht, die so groß war, daß man zu den Jahren des Vietnamkriegs zurückgehen mußte, um eine Entsprechung dafür zu finden.
Doch es war auch aus einem anderen Grund eine ungewöhnliche Demonstration: Nicht nur die große Zahl von Menschen, die daran teilnahmen, war ungewöhnlich. So gut wie sämtliche Teilnehmer waren Einwanderer oder Kinder von Einwanderern.
Wie ein aufgeregter Offizier der Stockholmer Polizei es einem Rundfunkreporter gegenüber etwas unglücklich ausdrückte:
»Sie quollen einfach wie Ratten aus den Vororten herein. Wir hatten also gar keine Chance, etwas anderes zu tun, als den Verkehr umzuleiten. Wir hatten ja keine Ahnung, daß es so viele sind!«
Da ein sehr großer Teil der Demonstranten aus dem spanischen oder arabischen Sprachgebiet stammte, in dem das Alphabet kein stimmhaftes »H« enthält, war die einzige richtige Parole der Demonstration so speziell, daß sie nach und nach ein Bestandteil des Einwanderer-Schwedischen wurde, zunächst als Grußwort, später als ein Signal im weitesten Sinn, das bei vielen Gelegenheiten verwendbar war, angefangen bei der Bedrohung durch Anabolika-pralle Türsteher bis hin zur Antwort auf rassistische Schmähungen oder als Ausdruck gegenseitiger Solidarität:
Viva, viva ‘amilton!
Im folgenden Monat, als es darum ging, Carls Verschwinden zu erklären, fehlte es nicht an Spekulationen. Die Privatfahnder hatten ihre Theorie und sprachen von einer militärischen Befreiungsaktion, der Militärspur. Es gab sogar religiöse Erklärungen, die Jesus-Spur, oder hochpolitische Erklärungen, die Spionagespur.
Für die Polizeibeamten, die darauf angesetzt waren, die Sache aufzuklären, und die Wirklichkeit etwas realistischer sahen, gab es nur die Hall-Spur. Auf ihre im Vergleich zu den Privatfahndern phantasielose Weise gingen sie davon aus, daß die Erklärung dafür, daß es Hamilton gelungen war, von Hall auszubrechen, in der Anstalt zu finden sein müsse. Für diese Betrachtungsweise mußte die Polizei zwar manchen Spott und manche Schmähung ertragen, vor allem, da die Beamten bei der Jagd nach einer Erklärung erfolglos blieben.
Wärter und Häftlinge von Hall wurden sehr eingehend verhört. Die Häftlinge waren fast arrogant und triumphierend in ihrer Haltung. Viele von ihnen deuteten sogar an, sie wüßten zwar Bescheid, würden aber niemals verraten, was passiert sei; das Schlagwort Viva ‘amilton war schon bald an erwartete wie unerwartete Stellen gesprüht.
Die Wärter waren eher peinlich berührt, was auf einer einfachen, in polizeilicher Hinsicht phantasielosen, aber doch logischen Schlußfolgerung beruhte. Eine Gefängnistür läßt sich nämlich nicht von innen öffnen und kann von außen nur mit einem Schlüssel auf oder zugeschlossen werden. Die Klientel von Hall bestand hauptsächlich aus Einwanderern, und was solche Leute über Hamilton dachten, war ja inzwischen bestürzend klar geworden. Aber die Wärter?
Der einzige Polizeibeamte in Schweden, der genau wußte, was passiert war, war ein Kommissar bei der Polizei in Ystad. Er hatte zwar noch nie seinen Fuß in das Gefängnis von Hall gesetzt, hatte auch nicht an Verhören teilgenommen, sondern arbeitete meist mit seiner Intuition. Und diese Intuition
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