Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
auf sein Brett springt, umarmt er mich und wir halten uns unter dem traurigen, sternenlosen Himmel so fest, dass es mir einen Moment lang so vorkommt, als gäbe es hier nur ein gebrochenes Herz, nicht zwei.
Aber dann spüre ich plötzlich etwas Hartes an der Hüfte, ihn, das . Verdammte Scheiße noch mal! Schnell weiche ich zurück, sage tschüss und renne wieder ins Haus.
Ich weiß nicht, ob er weiß, dass ich ihn gefühlt habe.
Ich weiß gar nichts.
(Gefunden auf einem aus einem Heft gerissenen Blatt Papier, das die Main Street hinunterwehte)
4. Kapitel
FOLGENDES GESCHIEHT nach Joe Fontaines erstem Trompetensolo im Orchester: Als Erste bin ich hin, ohnmächtig sinke ich gegen Rachel, die Cassidy Rosenthal anstößt, die auf Zachary Quittner kippt, der auf Sarah fällt, die gegen Luke Jacobus taumelt … bis wir alle in einem benommenen Haufen auf dem Boden liegen. Dann hebt sich das Dach, die Wände stürzen ein, und mit einem Blick aus dem Fenster stelle ich fest, dass sich nicht weit von uns eine Gruppe Mammutbäume entwurzelt hat, über den Hof kommt und auf den Musikraum zuhält, eine Bande riesiger hölzerner Männer klatscht die Zweige aneinander. Zu guter Letzt tritt der Rain River über seine Ufer und windet sich nach links und nach rechts, bis er dann den Weg in den Musiksaal der Clover High findet, wo er uns alle davonträgt – so gut ist er.
Wir musikalisch Normalsterbliche hingegen müssen uns erst berappeln, um das Stück zu beenden, das tun wir auch, doch als wir am Ende der Probe unsere Instrumente einpacken, ist es im Saal still wie in einer leeren Kirche.
Schließlich erlangt Mr James, der Joe angestarrt hat, als wäre er ein Pfau, die Sprache wieder und sagt: »So, so. Um es mal mit euren Worten zu sagen: schöne Scheiße.« Alle lachen. Ich drehe mich um, denn ich will sehen, wie Sarah es fand. Unter einer riesigen Rastamütze ist nur so gerade eben ein Auge zu erkennen. Oberhammergeil lese ich von ihren Lippen ab. Ich schaue rüber zu Joe. Er wischt seine Trompete ab und er ist rot geworden, ob wegen der Reaktion oder wegen des Spielens weiß ich nicht genau. Er schaut hoch, fängt meinen Blick und hebt dann erwartungsvoll die Augenbrauen, beinahe so, als wolle er mir zu verstehen geben, dass der Sturm, der da eben aus seiner Trompete gekommen ist, für mich war. Aber warum sollte das so sein? Und warum erwische ich ihn immer wieder dabei, wie er mich beim Spielen beobachtet? Das ist kein Interesse, also, damit will ich sagen, nicht so ein Interesse, das merke ich. Er beobachtet mich wie ein Forschungsobjekt, intensiv, so wie Marguerite im Unterricht, wenn sie zu ergründen versuchte, was in aller Welt ich falsch machte.
»Daran brauchst du nicht mal zu denken«, sagt Rachel, als ich mich wieder umdrehe. »Auf diesem Trompeter steht mein Name. Abgesehen davon ist der eine Nummer zu groß für dich, Lennie. Denn wann hast du denn das letzte Mal einen Freund gehabt? Ach so, ja, nie.«
Ich denke daran, ihr die Haare in Brand zu stecken.
Ich denke an mittelalterliche Foltergeräte: insbesondere das Streckbrett.
Ich denke daran, ihr zu erzählen, was letztes Jahr im
Herbst beim Vorspiel für die erste Klarinette tatsächlich passiert ist.
Stattdessen ignoriere ich sie, wie ich sie das ganz Jahr ignoriert habe, wische meine Klarinette ab und wünsche, ich hätte tatsächlich nur Joe Fontaine im Kopf und nicht das, was mit Toby vorgefallen ist. Wenn ich dieses Gefühl wieder wachrufe, wie er sich an mich presst, rasen jedes Mal Schauer durch meinen Körper. Das ist ganz bestimmt nicht die angemessene Reaktion auf den Steifen vom Freund deiner Schwester! Und was noch schlimmer ist, in meiner ganz privaten Gedankenwelt mache ich mich nicht wie im wirklichen Leben von ihm los, sondern bleibe bei ihm, umschlungen von seinen Armen unter dem ruhigen Himmel – und mir wird heiß vor Scham.
Ich klappe meinen Klarinettenkasten zu und wünsche mir, mit diesen Gedanken an Toby ebenso verfahren zu können. Ich schaue mich um – die anderen Blechbläser haben sich um Joe geschart, als ob der Zauber ansteckend wäre. Seit dem ersten Tag nach meiner Rückkehr habe ich kein Wort mit ihm gewechselt. Mit jemand anderem in der Schule eigentlich auch nicht. Nicht mal mit Sarah.
Mr James klatscht in die Hände, um sich die Aufmerksamkeit des Orchesters zu verschaffen. Mit seiner aufgeregten, knarzigen Stimme redet er über die Proben des Sommerorchesters, denn in knapp einer Woche ist die Schule zu
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