Ueberdog
Südwestbalkon, als ginge es um sein Leben.
Die Tür zur Abstellkammer öffnete sich lautlos. Als ich sie schloss, hörte ich die Maklerstimme nur noch dumpf. Ich hörte noch, wie sie näher kam, wie sie im Vorbeigehen hastiger wurdeund lauter, als wollte der Mann um jeden Preis vermeiden, dass noch jemand die Abstellkammer mit der Bierdose sah.
Schließlich stand der Trupp an der Eingangstür. Ich hörte, wie der Makler letzte Fragen beantwortete, Bewerbungsbögen verteilte und Abschiedsgrüße. Dann war es still in der Wohnung.
Ich griff nach der Titanklinke. Ich hielt inne, als von neuem Schritte über das Parkett knarrten. Der Makler patrouillierte noch einmal durch die Räume, näherte sich meinem Versteck. Er klang wie ein einsamer, gebrochener Mann. Vor der Abstellkammer kamen seine Schritte zum Stillstand.
Ich hob die Bierdose auf, warf mich in Positur. Ich probierte Sätze: »Nennt man das hochwertig möbliert?« Ich hörte nur einen Seufzer, dann etwas, das sich nach einem Furz anhörte. Noch ein Schritt, dann öffnete sich die Tür nebenan.
Das Sprotzen, Flatschen und leise Wimmern, das ich durch die Wand hörte, erinnerte mich daran, dass nebenan die Toilette war. Der Tumult endete, doch die Tür schien sich nicht wieder zu öffnen.
Nach zehn Minuten wurde mir bang. Ich stellte mir Szenarien vor; der eingeschlafene Makler, die Hosen heruntergelassen, den Kopf auf den Spülkasten gelehnt. Ein Selbstmord, ein Herzinfarkt aus heiterem Himmel; endlose Verhöre, die Schreibtischlampe im Gesicht. Endlich, nach zwanzig Minuten, verließ der Makler sein Verlies, tappte gebrochen zur Tür. Endgültig fiel sie ins Schloss. Er hatte sich nicht einmal die Hände gewaschen.
Ich trollte mich ins Wohnzimmer. Ich streckte mich aus auf dem Sofa von Paolo Rizzoli, seiner südlichen Landschaft. Ich lag noch wach, als vor dem Ostfenster lachsfarben die Herbstsonne aufstieg.
Der schmale Blechstreifen, den ich mit dem Taschenmesser aus der Bierdose schälte, deckte das Schloss im Türrahmen sauber ab. Ich löste eine Schraube aus der Zarge und hängte den Streifen vor das Schließblech. Ein leiser Druck genügte jetzt, um die Tür zu öffnen und zu schließen; unsinnig oft machte ich die Probe. Dann hatte ich genug von dem Spiel und trat entschlossen ins Treppenhaus hinaus.
24
Auf der Straße stellte ich fest, dass ich die Sesshaften fast nicht mehr wahrnahm. Ich konnte verfolgen, wie sie Tag für Tag an Wirklichkeit einbüßten und mir schließlich unpersönlicher erschienen als Hunde oder Spatzen. Ich versuchte, mir ihre Gegenwart ins Bewusstsein zu zwingen, ihre Leben, ihre Laufwege. Durch die Fenster der HafenCity sah ich das Flackerlicht der Fernseher und Schreibtischleuchten, die Menschen an Geräten beschienen. Ich folgte Touristen, die auf den polierten Kaiflächen entlangrollten, panisch, wie geschoben, an ihre Segways gekrampft. Ich schlenderte an Cafés vorbei, sah Menschen, die ihre Gesichter in die Sonne hielten; mit geschlossenen Augen, dachte ich, hatten sie immerhin die Chance zur Sehnsucht.
An den Magellanterrassen beobachtete ich einen jungen Mann mit seinem Skateboard. Er sah aus, als hätten sich alle Wünsche, die unter den Lidern der Sonnenfreunde wucherten, in dieser Figur verkörpert. Er hatte den Wuchs einer gut gedüngten Pflanze aus den Elbvororten, gestählt durch Polo, Skiurlaube und proteinreiche Kost, und gleichzeitig die Zähigkeit eines Barmbeker Unkrauts, abgehärtet von Bandenkriegen, Machtkämpfen und Promiskuität. Und er hatte dieses Jungsgrinsen um die Unterlippe, die auch im Grinsen noch satt herabhing und prächtige Zähne zeigte.
Ich setzte mich auf die Stufen der Terrasse, schlug die Abendpost auf. Über den Blattrand hinweg fixierte ich den Skater. Der Junge stand an der Reling, ließ träge das Board vor sich hinund herrollen, trat mit dem Fuß auf das gebogene Ende, um es durch die Luft wirbeln zu lassen. Ohne hinzusehen, fing er es auf Bauchhöhe auf. Dann stand er wieder da, das Spielbein auf die Querstrebe der Reling gestemmt, mit verwegen zusammengekniffenen Augen, die Unterlippe im Wind.
Nach einer Weile beschloss ich, ihn nach einer Zigarette zu fragen. Er sah mich an, als hätte er nicht mit mir gerechnet, als sei es ein Schmerz, aus einer Skaterwelt gerissen zu werden in die Welt von Leuten, die auf den Stufen der Magellanterrassen die Abendpost lesen. Dann entspannte sich sein Blick, und sein Grinsen wurde straff und reptilisch.
»Sorry. Ich rauch nicht«,
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