Ueberdog
ich dankbar, dann schlafen wir beide. Schließlich lag ich in Embryohaltung, das Gesicht zur Tür gedreht. Ich hörte, wie der Wind hinter mir an den Ladenfronten entlangwütete, ohne mich noch berühren zu können; das Sausen genügte, dass ich auf Anhieb einschlief.
23
Der Morgen war weiß, gesprenkelt mit schwarzen Buchstaben. Ich nahm die Abendpost vom Gesicht und setzte mich auf. Ich las die Schlagzeile: »Bela und Patrizia Holten: Nestbau in Hamburg«. In meinem ausgeschlafenen Kopf wuchs eine Idee.
Die Wohnungsanzeigen nehmen drei Seiten ein. Sie boten Unbezahlbares an in unbewohnbaren Stadtteilen. Die Eppendorfer Dreizimmerwohnung, 90 Quadratmeter, hochwertig möbliert, 2100 Euro kalt, stand noch für denselben Nachmittag zur Besichtigung.
Um viertel vor fünf stand ich vor der Wohnung. Die marmornen Treppenstufen waren poliert; weiße Säulen flankierten den Eingang. Grüppchen in langen Mänteln belagerten das Haus, Ehepaare mit Kostümen und Seitenscheitel; sie warteten auf den Makler, die Zeitung in der Hand. Als der Makler erschien, fand er beim vierten Versuch den richtigen Schlüsselbund.
Ich setzte mich an die Spitze der Prozession. Umgehend nahm ich den Makler zur Seite. »Ich nehme an, die Türklinken werden noch ausgetauscht«, sagte ich mit einem Anflug von Betrübnis. »Das sieht ja aus wie in einem Fertighaus.«
»Die Klinken sind aus hochwertigem Titan«, sagte der Makler zu einer Dame im Lodenmantel; er schien meinen Blick zu meiden.
»Schade um das schöne Titan«, ließ ich ihn wissen. Dann marschierte ich durch die Räume, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Die Ehepaare schwärmten jetzt aus; vorsichtig stiegen sie durch weich ausgelegte Flure. Ich fuhr mit den Händen über Ledertapeten, setzte mich auf ein Paolo-Rizzoli-Sofa aus containergroßen Kuben, streichelte wellige Knorrholm-Stühle, tauchte unter einer tropfenförmigen Deckenlampe von Schlock hindurch. Ich spähte in Ecken, öffnete Türen, stützte mich auf eine Fensterbank und betrachtete meine Fingerspitzen: Respekt, kein Körnchen Staub zu sehen. Nervös trat der Makler näher, rückte schnell wieder ab und wandte sich einer kleinen Dame zu, die über die plötzliche Aufmerksamkeit erschrak.
Ich wich dem Mann jetzt nicht mehr von der Seite. Ich konnte die chemische Reinigung seines Anzugs riechen, sein Rasierwasser; im Windschatten der Schwaden segelte ich durch die Räume. In einer Abstellkammer am Ende des Flurs hatte ein Arbeiter eine leere Bierdose hinterlassen. Bevor die Interessenten hineinschauen konnten, schloss der Makler die Tür und führte die Prozession ins Schlafzimmer. In der Küche standen wir vor Apparaturen aus gebürstetem Edelstahl. DeLanieri, stellte ich fest; Gesichter drehten sich mir entgegen. Nur der Makler wagte nicht mehr, mich anzusehen.
Ich legte den Kopf in den Nacken. Ich wusste nicht, ob tatsächlich ein Fleck an der Decke war, aber der Makler folgte beunruhigt meinem Blick. Jetzt rissen sich auch die Ehepaare von Herd und Spüle und schauten nach oben; ich zog mein Notizbuch aus der Handtasche und schrieb schwungvoll etwas hinein.Dann trat ich ans Fenster und blickte streng in den Hof. »Sagen Sie«, machte ich gedehnt.
Das Ehepaar, dem der Makler vergebens die Heizkostenumlage erklärte, hörte ihm nicht zu, sondern starrte nur auf mich. »Diese fröhlichen Zecher da unten im Hof«, fuhr ich fort. »Wohnen die immer dort?«
»Welche fröhlichen Zecher«, knurrte der Makler; er atmete jetzt flach.
»Diese munteren Vaganten«, sagte ich. »Diese Saufnasen, diese ungewaschenen Schluckspechte. Sitzen im Hof und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Während wir das Staatsdefizit verringern, vierzehn Stunden am Tag.«
Der Makler öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus; neugierige Köpfe drängten mit ihm ins Freie.
»Ich kann nichts sehen«, sagte der Makler.
»Na dann ist ja gut«, sagte ich achselzuckend. »Dann war das Ganze wohl nur ein Kurzauftritt. Womöglich wohnen die gar nicht hier. Vielleicht sind die nur zu Besuch.«
»Ganz sicher«, sagte der Mann und sah mich misstrauisch an.
Für den Rest der Besichtigung mied der Makler meine Nähe. Wenn unsere Blicke sich trafen, schaute er weg, verbarg sich im Besucherstrom. Wenn möglich, verbarg er sich in sicheren Nachbarräumen. Deutlich hörte ich seine Stimme durch die Wände; die Schallisolierung war eindeutig mangelhaft. Erregt dozierte er über Mahagoniparkett, über den Carport, über den
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