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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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wählte widerstrebend die Nummer von Gesine Speyerling.
    Im Hintergrund hörte ich Stimmengewirr. Ich hörte leiseClubmusik, ein hilfesuchendes Auflachen. Ich wollte den Anlass gar nicht kennen, bei dem ich sie störte; ich sagte: »Hör zu.« Gesine klang, als ob sie sich freute; sie sagte: »Stella«, und: »Geht’s gut.« Und ich brachte es nicht übers Herz, die gute, treue Gesine zu betrüben, und ich sagte: »Na klar.«
    Ich gab dem Bankangestellten sein Handy zurück. Dann griff ich meinen Einkaufswagen und schob ihn langsam, mit aufreizender Lässigkeit, durch Planten un Blomen zum Fluss.
    Der Tag war noch einmal sonnig gewesen und klar, doch schon im Abendrot wurde mir kalt. Ich parkte meinen Einkaufswagen am Uferweg, suchte den Strand nach Feuern ab.
    Zwei Studentenmädchen rückten respektvoll auseinander, machten mir bereitwillig Platz. Unbequem lehnten sie sich zurück, führten ihr Gespräch hinter meinem Rücken weiter; sie sprachen über einen Kommilitonen namens Boris. »Wollen wir uns noch was zu trinken holen«, sagte die Schwarzhaarige mit dem Pferdeschwanz endlich. Ich rief ihnen hinterher und bestellte ein Glas Rotwein. Als die beiden nicht wiederkamen, stand ich auf.
    Auf der anderen Seite des Feuers saß ein einsamer junger Mann. Er hatte dünne Lippen und ein fliehendes Kinn. Seine Haut glänzte ölig im Schein der Flammen, aber bereitwillig goss er mir aus seiner Flasche Bier in einen Plastikbecher. Dann fragte er mich nach meinem Tierkreiszeichen. »Lass mich raten«, sagte er. »Du bist Löwe.«
    Ich bin Zwilling, aber höflich fragte ich: »Woran hast du das gemerkt.«
    »Am Geruch«, sagte er. Als er den Arm um mich legte, standplötzlich ein Mädchen vor uns; die Weinflasche hielt sie wie einen Baseballschläger. »Was will die Pennerin hier«, kiekste sie. »Hat die jemand eingeladen.« Ihre Stimme klang ängstlich, aber zu allem bereit.
    Jetzt stand ein kleiner Dicker, offenbar der Anführer der Gruppe, neben der Furie. Er legte ihr die Hand auf die Schulter; mit debiler Langsamkeit ließ sie die Flasche sinken.
    »Tut mir leid«, sagte der Dicke; er hatte die schnarrende Stimme eines Burschenschaftlers. »Das ist hier eine geschlossene Veranstaltung.«
    Ich sagte ihm nicht, dass das meine Spezialität war; dass es ausschließlich geschlossene Veranstaltungen waren, die ich besuchte. Ich sagte ihm nicht, dass der Strand keine Anstalt war, dass es nichts Offeneres gab als Zusammenkünfte in der freien Natur. Ich stand auf und ließ ihn stehen. Ich watete durch den Sand zu meinem Einkaufswagen. Ich warf ein paar leere Flaschen und aufgerissene Würstchenfolien hinaus. Dann schob ich, den Kopf gereckt und den Rücken gestrafft, das Gefährt den Hohlweg zur Elbchaussee hinauf.
    Als ich den Bahnhof Altona erreicht hatte, fühlte ich mich unendlich müde. Vor dem Zeitschriftenladen stand ein verschnürter Stapel Abendpost ; ich packte ihn ein als Vorsorge für schlechtere Zeiten. Am liebsten hätte ich mich in den Wagen gesetzt, nur noch gewartet, bis mich jemand anschöbe, irgendwohin; ich wollte nichts mehr entscheiden. Dann trottete ich mit dem Gefährt in die Fußgängerzone.
    Vor einem Kaufhaus sah ich eine Batterie Schlafsäcke, die mir nie zuvor aufgefallen waren; sie sahen aus wie zur Abholung aufgereiht. In Reih und Glied lagen sie, als warteten sie auf eineErweckung oder auf die Müllabfuhr. Einer der Schlafsäcke regte sich, drehte sich um wie eine Wurst am Spieß. Ein Wind fuhr scharf und grimmig von Norden her durch die Baulücken; ich konnte kaum noch sagen, ob es der Luftstoß war oder der Anblick der gestrandeten Menschen, der mich zum Frösteln brachte.
    In der Auslage eines Juwelierladens zeigten die Uhren Mitternacht an. Nebenan war ein Sportgeschäft; aus schmalen Augen musterte ich das Schaufenster. Wenn ich schon draußen schlafen musste, dachte ich, dann wollte ich es hier tun, bewacht von Sneakers von Berenice Coulthard und Rüthi, Leggins von Pura Gioia. Im Kopf maß ich den Ladeneingang aus, stellte mir meinen müden, eingerollten Körper darin vor, den Wind, der entlang der Fassade vorbeiflöge. Die Vorstellung, einfach so dazuliegen, der Schwerkraft zu folgen, den gegebenen Formen, ohne Anstrengung oder Wahl, fühlte sich an wie eine Verheißung.
    Meine Schmutzwäsche, in Plastiktüten verpackt, reichte für ein Polster aus. Die gesammelte Abendpost ließ sich zum Deckbett stapeln. Von weitem hörte ich den Gesang eines Betrunkenen; er geht bald schlafen, dachte

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