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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Lehne. Es kam mir vor, als wären die Polster Wolken, Wellen, gasförmige Elemente, die meinem Körper keinen Widerstand boten. Im Kontrast dazu kam ich mir plötzlich hart vor und massiv, ein rohes Stück Materie. Ich versuchte, mich mit den Armenaufzustützen. Dann ergriff mich eine wohlige Schwäche. Eine Minute später war ich eingeschlafen.
    Eine Zunge, die mir träge und rauh über die Wangen fuhr, brachte mich in den Tag zurück. Ich starrte in den verständnislosen Blick eines Golden Retrievers; ich hörte eine Männerstimme: »Ist gut jetzt, Kapitän.« Ein Mann mit Designerglatze und hellgrauen Augen blickte auf mich herab; unter dem anthrazitfarbenen Anzug trug er ein schwarzes, offenes Hemd. »Was machen Sie hier«, grollte er vorsichtig und hielt den widerstrebenden Kapitän am Halsband fest. In seinen Augen las ich Angst, Verachtung und wachsenden Zorn.
    Erbittert schritt er zum Vitrioni-Sideboard. Er riss Schubladen auf und stieß sie wieder zu, kontrollierte die Unversehrtheit des Laptops auf dem gläsernen Schreibtisch. Er lief aus dem Zimmer; ich hörte sein erregtes Hantieren im Flur. Bevor ich die Kraft wiedergewonnen hatte, mich vom Sofa zu erheben, stand die Polizei schon in der Tür.
    Meinen Personalausweis untersuchten die Beamten wie eine Scherbe von einem Maya-Altar. Sie drehten ihn um, stellten ihn auf den Kopf, als enthüllte sich so sein geheimer Sinn. Schließlich wandte sich der blonde Beamte verstohlen an die brünette Beamtin: »Bernstorffstraße 72«, sagte er. »Da gibt’s kein Vertun.«
    »Vielleicht wohnt sie irgendwo anders im Haus«, schlug der Glatzkopf vor. Er erntete einen strafenden Blick des Polizisten. »Und was will sie dann bei Ihnen, bitte schön«, sagte der Beamte müde. Dann hatte er einen Einfall und wandte sich an mich: »Wie sind Sie überhaupt reingekommen.«
    »Mit dem Schlüssel«, sagte ich und ließ den Bund in der Luft klirren. »Wie denn sonst.«
    Die Beamtin raffte ihr Haar, das immer brünetter wirkte; es sah aus, als gäbe sie sich Mühe, strenger auszusehen. Mit ernster Miene wandte sie sich an die Glatze: »Dann würden wir doch gerne auch mal Ihren Ausweis sehen.«
    Der Mann sah zu Boden, auf den kühn gemusterten Teppichboden von Cro-Magnon. »Natürlich. Aber wir sind gerade erst vor drei Wochen eingezogen. Im Ausweis steht da natürlich noch nichts.« Er regte sich nicht, bis das Schweigen der Beamten unerträglich wurde und der Mann das eingeschweißte Kärtchen aus der Brieftasche zog.
    »Sie wissen, dass Sie sich spätestens nach einer Woche ummelden müssen«, sagte die Beamtin und nahm das Dokument in die Hand, ohne es anzusehen; sie ergriff es beiläufig, wie ein Papiertaschentuch. Dann las sie vor: »Alsterufer 16.« Sie sah den Mann an, als sei er eine Erklärung schuldig.
    »Ich hab doch den Mietvertrag«, sagte er mit plötzlichem Strahlen. »Das heißt, meine Frau. Kein Problem. Ich ruf sie an, und sie bringt ihn aus dem Büro mit.«
    »Tun Sie das«, sagte der Beamte. »Und halten Sie uns auf dem Laufenden. Sie finden uns in Revier 16 an der Lerchenstraße. Bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass die Dame hier rechtmäßig wohnt.«
    Als der Mann und die Beamten gegangen waren, war es in der Wohnung noch stiller als vorher.

22
    Ich ließ es auf die Entscheidung nicht ankommen. Als ich aus dem Fahrstuhl trat, den Müllsack über der Schulter, wartete mein Einkaufswagen auf mich. Ich sah ihn an wie einen Ehering, ein Zeichen von Treue und Beständigkeit. Ich drehte ein paar Runden durch den Schanzenpark mit ihm; mein Kind, dachte ich unsinnig, meine kleine Familie.
    Dass der Geldautomat der Commerzbank mich im Stich lassen würde, hatte ich erwartet. Auch mein Smartphone verweigerte inzwischen das Gespräch. Der junge Angestellte, den ich am Dammtorbahnhof um sein Handy bat, ließ mich während des ganzen Telefonats nicht aus den Augen.
    Ich stellte fest, dass ich nicht mehr ins Weite wollte, dass ich lange genug im Weiten gewesen war. Ich wollte in die Nähe; was ich dort wollte, war mir noch nicht klar. Annika Sellheim ging nicht ans Telefon. Beatrice Chang hatte mir bei unserer letzten Begegnung einen seltsamen Blick zugeworfen; Bert von Stock war, wie ich mich fast erleichtert erinnerte, in den Emiraten. Carl Minkovic war nach Paris gezogen, und unter der Nummer Cecilia Nungessers schrillte ein Tinnitus-Fiepen, das mir das Telefon vom Ohr schlug. Ich sah in das Gesicht des Angestellten, das vor Ungeduld fast traurig aussah, und

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