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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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mehrfacher Lektüre einlädt. Viele Fragen zu Grace Mavis’ Motivenund Gefühlen bleiben unbeantwortet. In Fanny Kembles Geschichte scheint der Skandal, den die Dame an Bord des Schiffes verursachte, der wichtigste Beweggrund für ihr Handeln gewesen zu sein. In James’ Novelle gewann dieser Aspekt der Ausgrenzung und Schmähung durch die kleine Gesellschaft der Mitreisenden erst Bedeutung, als der Autor die Figur der Mrs. Peck einführte und den Text von geplanten drei auf vier Kapitel erweiterte. James ist es gelungen, aus einer gewöhnlichen Klatschbase eine Figur zu machen, die immer bedrohlicher wird, je länger man über sie nachdenkt. Vielleicht ist es übertrieben, an dieser Stelle von der vielzitierten »Banalität des Bösen« zu sprechen. Aber genau das ist es, was Mrs. Peck zu solch einer wirkungsvollen Schöpfung macht: ihre gefühllose Selbstgerechtigkeit, ihre Anmaßung, über andere zu urteilen und für andere zu sprechen, ihre Taubheit gegenüber mäßigenden oder relativierenden Einwänden – und all das bei einer ansonsten durchschnittlichen, talentfreien und geistlosen Person. Ihre Reaktion auf Grace Mavis’ Suizid wird nicht beschrieben, doch ist auch hier das Ungesagte effektiver, als es irgendeine ausführliche Darstellung hätte sein können.
    Henry James Leistung wird nicht geschmälert, wenn man weiß, dass Fanny Kembles Anekdote nicht die einzige Quelle der Inspiration war, aus der er schöpfte. Die zweite, vielleicht sogar wichtigere war Anthony Trollopes Kurzgeschichte The Journey to Panama (dt. Die Reisenach Panama ). Es ist kein Geheimnis, dass James das umfangreiche literarische Werk Trollopes – seine Gesellschaftsromane, Erzählungen, Reiseberichte und Biographien – ausgezeichnet kannte und 1883 einen Essay veröffentlichte, in welchem er den Autor nur einen kleinen Schritt weit hinter den größten englischen Autoren seiner Epoche, Charles Dickens und William Makepeace Thackeray, einordnete. In demselben Essay, den er im Januar oder Februar 1888 für den Sammelband Partial Portraits überarbeitete, erwähnt James beiläufig, dass er einmal die Ehre hatte, in Gesellschaft Trollopes den Atlantik zu überqueren. Er lobt dessen persönliche Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit und schildert kurz, wie Trollope sich vor jeder Schiffsreise vom Schiffszimmermann ein kleines Schreibpult in die enge Kabine einbauen ließ, in der er sich jeden Vormittag einschloss, um seiner schriftstellerischen Tätigkeit nachzugehen. James reiste damals, Ende Oktober 1875, bei stürmischem Wetter auf dem neuen Cunard-Dampfer Bothnia von Boston nach Liverpool, um im November eine Stelle als Korrespondent der New York Tribune in Paris anzunehmen. Er hatte in jungen Jahren zwei oder drei Romane Trollopes verrissen und sie ein wenig selbstherrlich als »dumm« abgefertigt. In einem Brief an die Eltern bezeichnete er den englischen Autor kurz und knapp als »den langweiligsten Briten von allen«. Nach dessen Tod im Jahr 1882 änderte James seine Meinung, bewunderte die menschlicheWärme in Trollopes Texten, kritisierte aber auch seinen Hang, den Leser direkt anzusprechen, und distanzierte sich von ihm als jemand, der nur für die Gegenwart und nicht für die Nachwelt schreibe: »Trollope wird einer der vertrauenswürdigsten, wenn auch nicht eloquentesten jener Schriftsteller bleiben, die die menschliche Seele dabei unterstützten, sich selbst kennenzulernen. Die menschliche Seele hält dies nicht immer für wünschenswert, manchmal betrachtet sie die Geschichte lieber auf andere Weise – sie betrachtet die Manifestationen, ohne sich um die Motive zu kümmern.«
    Im Grunde skizziert James hier auch den wesentlichen Unterschied zwischen seiner Novelle The Patagonia und Trollopes Journey to Panama . Letztgenannte Erzählung schildert die Ereignisse aus einer Perspektive, die am Ende keine Zweifel bezüglich der Motive und Beweggründe der Figuren aufkommen lässt. Es gibt keine Ungewissheiten, keine offenen Fragen, keinen Raum für Spekulationen. Eine einfache Geschichte, die dennoch zu fesseln vermag und von der Liebe des Autors zu seinen Figuren zeugt, die man bei dem »kaltblütigen«, oft ironischen, manchmal zynischen Beobachter in James’ Novelle vielleicht vermisst.
    Trollope wurde ebenfalls von einer wahren Begebenheit inspiriert. Jemand hatte ihn gebeten, einer Frau, die nach Übersee aufbrechen sollte, um zu heiraten, mitzuteilen, dass ihr Verlobter gestorben sei. Sie reagierte,indem sie sogleich

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