Überfall nach Ladenschluß
besser.“
„Ach so!
Übrigens: Manche gießen auch Rum drüber. Oder anderen Schnaps. Wahrscheinlich
wegen der Bakterien (Krankheitserreger) .“
„Wieso?“
lachte Locke. „Glaubst du, der Wald ist vergrippt?“
„Nicht
vergrippt. Aber was du bei Nicki nicht duldest, nämlich daß er am
Brombeerstrauch das Bein hebt — das macht eine Wildsau mit Wonne. Deshalb“, er
lachte, „wird der Schnaps gebraucht. Zum Desinfizieren (Krankheitserreger
zerstören).“
Locke
verdrehte ihre dunklen Augen. „Erzähl das mal einem Feinschmecker! Der hält
dich für beknackt, wo doch der Rum den Geschmack verbessert — und nicht zur
Entseuchung dient.“
Unter
diesen — nicht ernst gemeinten — Erörterungen erreichten sie den Waldrand, wo
das Blau-, Him- und Erdbeer-Paradies begann, wie Kathie behauptet hatte. Der
Wald dehnte sich weit aus, wurde aber durchschnitten von einer Schnellstraße.
Tom
schärfte Nicki ein, neben ihm zu bleiben. Dann ließ er ihn von der Leine. Die
schwarze Nase in Moos und Farnkraut gesteckt, schnupperte der kluge Vierbeiner
los. Verführerische Fährten kreuzten hier hundertfach seinen Weg. Aber keine
war so aktuell (zeitnah), daß er seine guten Manieren vergessen hätte.
Tom erhielt
eine der Plastikschüsseln.
„Wenn sie
voll ist, melde dich“, sagte Locke. „Ich habe noch mehr.“
Kathie
hatte nicht zuviel versprochen. Unter den Bäumen breitete sich ein Blaubeerfeld
aus. Sie pflückten. Nicki beschnupperte die Sträucher und begriff nicht, was
daran so toll war. Sie rochen weder nach Fleisch, noch nach Hundenahrung aus
Büchsen oder vermoderten Knochen. Aber über Geschmack — auch über den von Zunge
und Gaumen — läßt sich bekanntlich nicht streiten.
Wir
pflücken nicht, dachte Locke. Wir melken die Sträucher. Kolossal, was hier
wächst.
Zeit
verging. Lockes Finger färbten sich blau von zerquetschten Beeren. Bei Tom
nahmen vor allem Zunge und Zähne die Farbe an, verräterischerweise. Er wurde
getadelt. Seine Schüssel war erst halb voll. Locke füllte bereits in die
zweite, bestimmte dann aber, an Blaubeeren hätten sie nun genug. Und
Walderdbeeren seien ja schließlich noch köstlicher.
Nahe einer
Lichtung fanden sie ein Erdbeerfeld. Der Duft hing in der Luft. Bienen und
Hummeln schienen zu taumeln, als wären sie betrunken von Erdbeerwein.
Tom meinte,
vielleicht wären die klugen Insekten auf den Dreh gekommen und wüßten, wie man
Waldfrüchte keltert oder zu Schnaps brennt.
„Wenn wir
jetzt noch auf Brom- oder Himbeeren stoßen“, sagte Locke, „haben wir alles für
den Obstsalat. Aber ich sehe keine.“
Sie
suchten. Nicki setzte sich ab, drehte eine Runde durch angrenzendes Dickicht,
kam aber zurück. Er hechelte, und die Zunge hing aus seinem mächtigen Fang.
Locke hörte
Motorengeräusche. Offenbar näherten sie sich der Schnellstraße, die vor kurzem
erbaut worden war.
„Ich
erinnere mich“, sagte Tom. „Beim Rastplatz Eichengrund stehen Himbeerruten, wie
man die Stengel nennt, zu Hunderten. Diese Richtung“, er streckte den Arm aus,
„führt hin, glaube ich.“
Er hatte
recht. Jedenfalls entdeckte Locke einen Trampelpfad. Als sie ihm folgte, wurde
der Motorenlärm lauter.
„Dieser
Strolch!“ schimpfte Tom hinter ihr. „Jetzt hat er sich verdrückt. Wußte ich’s
doch.“
Er meinte
Nicki, von dem nichts mehr zu sehen war, pfiff auf den Fingern und rief aus
blaubeer-blauer Kehle. Aber Nicki jagte vermutlich Eichhörnchen und hatte die
Schlappohren auf Durchzug gestellt.
„Ich muß
ihn suchen“, sagte Tom.
„Als ob er
nicht allein zu uns fände — mit seiner Super-Fährtennase. Du bist nur zu faul
zum Pflücken.“
„Diese
Unterstellung weise ich zurück“, lachte Tom. „Aber Nicki kommt eher, wenn er
merkt, daß ich mich nähere, was er wiederum an den Pfiffen hört. Bin gleich
wieder da, hoffentlich.“
Besorgnis
lenkte Toms Schritte zur Lichtung zurück, während Locke auf dem Trampelpfad
weiterging.
Stille war
unter den Bäumen. Der Verkehr auf der Schnellstraße war auf null abgeflaut.
Büsche standen jetzt Spalier. Locke sah Holunder, Hagebutten und dornige Äste.
Dann entdeckte sie Himbeeren, rund um den Rastplatz.
In der
Ferne hörte sie Toms Pfiffe. Er entfernte sich. Wo der Pfad am Rastplatz
endete, standen Bänke und ein Tisch, dessen Beine — nämlich Pfähle — in den
Boden gerammt waren. Ein Wagen näherte sich auf der Straße. Locke hörte ihn.
Sehen konnte sie ihn nicht, denn eine Wand junger Lärchen grenzte
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