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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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alte Levy wurde wieder frei, wie verschiedene andere nach ihm. Ja, es gelang Weidt noch im Herbst 1942, alle seine Blinden persönlich wieder aus dem Sammellager abzuholen, die am Morgen unerwartet aus der Werkstatt abgeführt worden waren. Doch er warnte damals: „Das war das letzte Mal!“ Es schien ihm kein Zweifel mehr darüber zu bestehen, daß die Nazis entschlossen waren, alle Juden aus Berlin „in den Osten“ zu deportieren. Otto Weidt konzentrierte sich nun darauf, Verstecke zum Untertauchen zu finden. In der damaligen Neanderstraße mietete er einen Laden, den er als Nebenlager seiner Werkstatt deklarierte. Hinter aufgeschichteten Besen versteckte er die Familie Licht. Für Chaim Horn und seine dreiköpfige Familie trennte er den letzten Raum der wie ein Schlauch angelegten Werkstatt ab, indem er einen Kleiderschrank vor die Tür schieben ließ. Darin hingen Kleider und Mäntel, schob man sie beiseite, wurde offenbar, daß er keine Rückwand hatte. So konnte das Versteck von Familie Horn betreten werden. Ein Versteck übrigens, das im Originalzustand in der Ausstellung „Blindes Vertrauen“ in der Rosenthaler Straße 39 zu besichtigen ist. Auch die blinde Marianne Bernstein und ihre Zwillingsschwester brachte Weidt unter. Das waren nur einige von denen, die Weidt zu beschützen übernahm und von denen ich wußte. Nicht alle überlebten.
    Als meine Mutter und ich uns mit dem Gedanken vertraut machten, ebenfalls unterzutauchen, versprach Otto Weidt mir, daß ich bei ihm weiterarbeiten könnte. Er würde versuchen, dies zu legalisieren. Und tatsächlich händigte er mir eines Tages ein Arbeitsbuch aus, das auf den Namen Gertrud Dereszewski ausgestellt war. Jene Frau Dereszewski verkaufte ihr Arbeitsbuch, weil sie keine Lust hatte, in einer Fabrik zu arbeiten, wie es für Frauen bis zum 55. Lebensjahr vorgeschrieben worden war. Sie zog es vor, weiter im von den Nazis untersagten „ältesten Gewerbe“ tätig zu sein. Gertrud Dereszewski, deren Namen ich nun annehmen mußte, wurde beim Arbeitsamt und bei der Krankenkasse als Arbeiterin der Blindenwerkstatt Otto Weidt angemeldet. Ich erhielt einen entsprechenden Ausweis. Leider war meine Legalität nicht von langer Dauer. Gertrud Dereszweski fiel der Polizei in die Hände (Prostitution war untersagt). Weidt mußte sie offiziell entlassen. Trotzdem erlaubte er mir, bei ihm weiterzuarbeiten.
    Um ein Versteck für meine Mutter und mich brauchte Weidt sich nicht zu kümmern. Der Initiative von Emma Gumz, uns verstecken zu wollen, folgten andere nichtjüdische Freunde. Sie alle hatten den Kontakt zu uns nie abgebrochen, obwohl dies für sie nicht ungefährlich war. Selbst, als wir gezwungen wurden, einen Judenstern an unserer Wohnungstür anzubringen, kamen sie, brachten Lebensmittel und versicherten uns, daß wir auf sie rechnen könnten.
    „Ich bin ja so stolz, daß ich Sie dazu überreden konnte.“ Mit diesen Worten empfing uns Frau Gumz, als meine Mutter und ich am 15. Januar 1943 in ihrer Wäscherei in der Knesebeckstraße 17 untertauchten. Sie teilte uns ein Kabuff, wie sie es nannte, hinter ihrem Laden zu. In ihrem Laden gingen so viele Menschen ein und aus, daß wir gar nicht auffallen würden, meinte sie. Doch nach einiger Zeit erkundigte sich eine Nachbarin neugierig, wer denn der Besuch sei, der nun schon mehrere Wochen bei Gumzens wohne. Es schien uns geraten, schleunigst aus diesem ersten Versteck zu verschwinden. Die Gefahr, daß die Nachbarin Verdacht geschöpft hatte und ihn auch der Polizei melden würde, war zu groß. Frau Gumz weinte, als wir sie verließen, machte sich laut klagend Vorwürfe, daß sie entgegen ihren Absichten doch nicht die Kraft aufgebracht hatte, zu unserer Rettung entscheidend beizutragen.
    Wir waren gerade sechs Wochen im Versteck, als die Nazis alle noch in Berlin befindlichen Juden abholten. Sie zerrten sie aus ihren Wohnungen, sie griffen sie auf der Straße auf, sie fanden sie auf ihren Arbeitsstellen in den Fabriken. Diese letzte große Razzia am 27. Februar 1943 ist darum auch als „Fabrikaktion“ in die Geschichte der Judenverfolgung Berlins eingegangen. Ich wurde Zeugin dieser Aktion. Verzweifelt über meine Ohnmacht sah ich hinter einer Gardine zu, wie man diese Menschen auf den letzten Weg brachte, einen Weg, dem ich nur durch den Mut und die Risikobereitschaft einiger Berliner entronnen bin.
    Es ergab sich des öfteren, daß uns ähnliche Vorfälle wie bei den Gumzens zwangen, in großer Eile aus einem

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