Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Versteck zu fliehen. Meine Mutter fand sich schwer in diese Situation des ständigen Fliehen-Müssens ein. Aber immer wieder redeten ihr die Freunde gut zu, beschworen sie durchzuhalten, wiesen auf die sich verschlechternde Kriegslage Nazi-Deutschlands hin und fanden neue Unterkünfte. Oft war das neue Versteck nur ein Provisorium, bis ein besseres gefunden werden konnte. Mal schliefen wir auf den Lehnen umgekehrter Sessel in einem Wohnzimmer, mal auf einem Matratzenlager hinter einem Ladentisch. An Wochenenden kampierten wir in einem Bootshaus in Schildhorn oder in einer Laube in Drewitz. Es fand sich auch mal ein Versteck, in dem wir uns längere Zeit sicher fühlen konnten. Es wurde durch Bomben zerstört. Als ausgebombte Berliner fielen wir im bis kurz vor Kriegsende unzerstörten Potsdam nicht auf. Ein ehemaliger Ziegenstall, von den Behörden als unbewohnbar eingestuft, diente uns längere Zeit als perfektes Versteck. Dabei ständig betreut von unseren Freunden, die auch für unsere Ernährung sorgen mußten. Da auch dies im Verlauf des Krieges immer schwieriger wurde, übte ich mich im Stehlen – Kohlköpfe von den Feldern im Umland von Berlin oder Wurst und Käse in einem Milchgeschäft, in dem ich ohne Angaben über meine Person tageweise aushalf. Ich betätigte mich im Schwarzhandel, ich tauschte rares Briefpapier aus dem Papiergeschäft, in dem ich arbeitete, gegen Naturalien. Schließlich zwang uns die Lage zu einem neuen Wagnis. Wir fuhren in die Nähe der Front, die sich bereits auf deutschem Boden befand, mischten uns unter verschreckte Menschen, die vor den sowjetischen Truppen geflohen waren, und kehrten als Flüchtlinge aus Guben nach Berlin zurück. Als Ella Paula und Inge Elisabeth Marie Richter meldeten wir uns in Berlin an und wurden von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt großzügig betreut. Das Kriegsende erlebten wir als legale Bürger in unserem Ziegenstall in Potsdam.
Mein begeisterter Empfang des ersten sowjetischen Soldaten, den ich zu Gesicht bekam, hätte beinahe fatale Folgen gehabt. Frauen waren in den Augen sowjetischer Soldaten Freiwild. Ich mußte mich noch einmal verstecken. Nur einmal durfte ich einem russischen Soldaten jüdischer Herkunft meine wahre Identität offenbaren. Der aber, wohl angetan von dem jungen Mädchen, wollte gleich Chasane (Hochzeit) mit mir machen. Als ich vorgab, sein Jiddisch nicht zu verstehen, zog er seine Pistole und brüllte, es sei alles gelogen. Ich sei gar keine Jüdin. Mit viel List entkam ich diesem unsympathischen Zwischenspiel. So endete mein erstes Leben.
Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, daß ich frei war, frei – der Vollstreckung des Todesurteils entkommen. Und das verdanke ich einzig und allein der mutigen, aufopfernden Hilfe unserer Freunde, die es möglich machten, daß meine Mutter und ich zwei Jahre und vier Monate in Verstecken überleben konnten: Lisa Holländer, Otto Ostrowski, Grete Sommer, Walter Rieck, Klara Grüger, Theodor Görner, Käthe Schwarz, Paul Garn und die bereits genannten Emma Gumz und Otto Weidt.
Das sind die Namen der wichtigsten unserer Helfer. Ich bezeichne sie als Helden. Es waren Menschen, die es nicht ertrugen, untätig zuzusehen, wie eine von den Nazis als Verbrecher eingestufte Minderheit ihren Mördern ausgeliefert wurde. Sie handelten, wie ihr Gewissen es ihnen eingab, und dachten dabei nicht an die Gefahren, in die sie sich begaben. Sie taten Großes, ohne sich dessen bewußt zu sein. Menschlichkeit war ihnen oberstes Gebot. Ich bin dankbar dafür, daß der Staat Israel sie als „Gerechte der Völker“ anerkannt und ausgezeichnet hat. Die Staatsorgane dieses Landes haben sie bis heute weder beachtet noch geachtet.
Mein zweites Leben begann fast so spektakulär, wie das erste geendet hatte. Es dauerte nach Kriegsende noch drei Monate, bis es uns gelang, Kontakt zu meinem Vater in England aufzunehmen. Post und Telefon blieben noch lange Zeit unterbrochen. Ein englischer Soldat half uns mit einem Brief an meinen Vater über seine Feldpost. Und dann mußten wir noch ein weiteres Jahr warten, bis uns ein britisches Konsulat die Einreisevisen nach England erteilte. Dieses Jahr überbrückte ich als Sekretärin in der „Zentralverwaltung für Volksbildung für die sowjetisch besetzte Zone“. Diese Tätigkeit begann so hoffnungsvoll. Ein jeder, der dort arbeitete – Menschen, die aus dem Exil zurückgekommen waren oder ein KZ überlebt hatten –, kannte nur ein Ziel: mitzuhelfen, ein
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