Überm Rauschen: Roman (German Edition)
nach und boten ihm Bier an. Bis dahin hatte Hermann keinen Tropfen Alkohol angerührt. Als er nicht trinken wollte, warfen sie ihn irgendwo vor der Stadt aus dem Auto.
Manchmal schreckte er nachts schreiend aus dem Schlaf, lag schweißnass im Bett. Die älteren Lehrlinge kehrten spät in der Nacht von ihren Sauftouren zurück, gingen lachend über die Flure, schlugen mit den Fäusten gegen seine Tür. Im zweiten Lehrjahr schwänzte Hermann immer häufiger den Unterricht, führte seine Berichtshefte nachlässig, rief kaum noch zu Hause an. Wenn er sich einmal meldete, versicherte er, dass alles okay sei und er nur viel lernen müsse, aber in Wirklichkeit lernte er gar nicht mehr. Er trieb sich in der Stadt herum, übernachtete in Parks oder Hauseingängen, wie er mir später auf seinen Kassetten berichtete. Als er dann wochenlang nicht nach Hause kam und auch nicht mehr anrief, erkundigte Vater sich im Lehrlingsheim und erfuhr, dass Hermann gar nicht mehr dort sei – man hatte angenommen, er sei zu uns nach Hause gefahren; einige Wochen blieb er spurlos verschwunden.
Eines Mittags, als ich aus der Schule kam, saß er in der Küche, einen leeren Teller vor sich und noch Essensreste an der Wange. Sein Gesicht war voller Eiterpickel, die nicht mehr weggingen, sich auf Wangen, Stirn und Hals entzündet hatten und kleine Narben hinterließen. Er hatte draußen übernachtet, zuletzt war er in Hamburg gewesen, hatte erfolglos versucht, auf einem Schiff anzuheuern. Vater schlug vor, er könne auch in der Gastwirtschaft mithelfen – da gerade Hauptsaison war, gab es genügend zu tun.
Hermann war damals achtzehn Jahre alt. Er stand jetzt abends hinter der Theke und bediente die Gäste, holte morgens die Frühstücksbrötchen bei Simons in der Bäckerei, richtete tagsüber, wenn keine Gäste im Haus waren, schleifende Türen, leimte wacklige Stühle, zimmerte Flaschenregale, sorgte für die Getränkebestellungen, schreinerte einen Wäscheschrank und reparierte die Tischspringbrunnen, die in den Gästezimmern standen und seit Jahren nicht mehr funktioniert hatten. Unter der Saalbühne richtete er sich eine kleine Werkstatt ein, in der er auch an einem Motorroller bastelte, auf dem er an seinen freien Tagen mit Alma durch die Eifel fuhr. Alma saß auf dem Sozius, legte ihre Arme um ihn und ihren Kopf an seinen Rücken.
Die Elritze (Phoxinus phoxinus) ist ein kleiner Fisch, der zum Köder für die großen Fische taugt. Sie hat einen dünnen, daumenlangen, drehrunden Körper, mit grau- bis braungrüner Färbung und Querbinden, die golden schimmern. Sie schwimmt in flinken, aufgeregt schwebenden Schwärmen dicht unter der Wasseroberfläche unruhig und erwartungsvoll, formt seltsame schöne Gestalten, die nur den einen Grund haben, ihre Feinde zu irritieren.
18
Etwa zwanzig Meter weiter abwärts macht der Fluss einen Bogen. Dort stehen am gegenüberliegenden Ufer große Forellen, die von der Wiese ins Wasser gefallene Heuschrecken und nicht selten auch Mäuse schnappen. Hermann saß oft an dieser Stelle, weil man die Fische vom Uferhang im klaren halbtiefen Wasser sehen konnte, ihre Form und die Größe ihrer Ringe beim Steigen. Alte, erfahrene Fische steigen vorsichtig, verursachen nur kleine Ringe, nehmen die Beute und touchieren beim Abtauchen mit dem Rücken die Oberfläche, oder sie drehen sich kurz auf die Seite, peitschen mit dem Schwanz ein-, zweimal und verschwinden wieder in der Tiefe.
Je älter ein Fisch wird, desto perfekter vermag er sich seiner Umgebung anzupassen, er wird immer vorsichtiger. Man muss sehr viel Geduld haben, um einen solchen Fisch zu fangen. Meine Freunde und ich hatten diese Geduld nicht, wir zogen es vor, mit Karbid zu fischen, eine grausame, aber effektive Methode, bei der man etwas Sprengstoff in eine Flasche gibt, einige Tropfen Wasser einfüllt, dann die Flasche verschließt und sie schnell in den Fluss wirft, sodass sie oberhalb der Stelle landet, wo die Fische stehen. Die Flasche taucht ein und treibt langsam den Fluss hinunter, während das entstehende Karbidgas sich im Flascheninneren ausdehnt, bis die Flasche, wenn man alles richtig gemacht hat, genau über den Fischen explodiert. Die Druckwelle zerreißt ihnen die Schwimmblase. Wir hatten einmal auf diese Art einen ganzen Schwarm gefangen, die toten Fische trieben auf der Wasseroberfläche, und wir mussten sie nur noch einsammeln. Als Hermann uns dabei erwischte, sagte er, dass wir das unterlassen sollten, und versuchte,
Weitere Kostenlose Bücher