Überman
Flenn nutzloserweise.
»Ja und?«, sage ich, »McDonald’s hatte auch offen am 11 . September.«
Dann – vor allem Paula kann es kaum fassen – steigt ihr Hund in eine Straßenbahn stadteinwärts. Ein älterer Mann untersucht kurz die Kamera und gibt schließlich eine Ecke seiner Pizza ab, zwei junge Mädchen den Rest ihres Frozen Yoghurts.
»Kannst du mal auf Pause?«, krächzt Phil, »das war ja mal ’ne echt geile Alte!«
»Nein!«, rufen alle.
Am belebten Rudolfplatz springt Evil aus der Bahn und tappt zielstrebig in einen Irish Pub, wo er von der Trinkgemeinde freudig begrüßt wird.
»Alles wie immer um die Zeit, wenn Sie mich fragen, Herr Super-Überman«, zischt Ditters sarkastisch.
»Haben die Leute im World Trade Center auch gesagt am 11 . 11 . um 7 Uhr 57 «, schieße ich zurück. Irritiert bin ich trotzdem. Sollte meine Angstformel tatsächlich versagt haben, oder hab ich einfach nur die Ermittlung des genauen Zeitpunkts verpasst?
Evil tollt durch den Pub, als wäre er für Hunde gemacht. Aufgrund der Kameraposition sehen wir vor allem Schuhe, Jeans und fallen gelassene Chipstüten, die natürlich sofort nach Resten untersucht werden. Bier schwappt herunter, landet auf dem Boden und wird komplett aufgeschleckt.
»Evil, pfui!«, ruft Paula und Phil: »Was für ’ne krasse Töle! Wenn er jetzt noch anfängt zu kiffen, will ich auch so einen!«
Mit unsicherem Gang tapst Evil aus dem Pub und gelangt auf die Straße. Die Kamera schwenkt nach rechts und links und entdeckt den Rest eines Döners. Dann wieder Straße, das Bild ist verschwommen, die Kopfbewegungen ungewöhnlich. Evil verschwindet in einer Bar. Ein betrunkenerer Schalke-Fan beugt sich runter und gibt ihm einen Schluck von seinem Drink, ein anderer eine Kippe. »Diese asozialen Idioten!«, ruft Paula, und Phil lacht sich tot: » JETZT will ich so ’nen Hund!«
Ein paar übergroßer Hände kommt auf Evil zu und trägt ihn nach draußen, wo Evil weitertrabt und an einem Kiosk einen anderen Beagle besteigt.
»Evil!«, ruft Paula entsetzt, und ich blicke zu ihr. »Der ängstlichste Beagle der Welt, ja?«
»Vergewaltiger!«, ruft Phil und bepisst sich über sich selbst.
Paula verschränkt die Arme. »Ihr seid ja alle bekloppt!«
Dann rauscht ein Eimer Wasser auf Evil herab, woraufhin dieser von der Beagledame ablässt, sich schüttelt und die Flucht antritt. Schließlich trabt Evil den ganzen langen Weg zurück in den Weinkeller, und ich muss vorspulen, bis er am Lüftungsschacht wieder in sein Körbchen springt. Er wird abgeseilt, und am Ende sehen wir eine freudetrunkene Paula in die Kamera schauen: »Evil! Da bist du ja!«
»Okay!«, sagt Ditters, »das war ja jetzt ganz amüsant, aber wir haben kurz vor drei und … wenn ich das mal im Namen aller zusammenfassen darf: Die Welt ist nicht untergegangen, jedenfalls nicht linksrheinisch, und jetzt gehen wir nach Hause. Simon? Die Schlü…–«
In diesem Augenblick krachen mit lautem Getöse vier Paletten Riesling auf den Steinboden. Direkt danach geht das Licht wieder an, und wie Phönix aus der Asche erklimmmt ein äußerst giftiger Weinzwerg den von ihm selbst geschaffenen Berg aus Flaschen und Kisten. » WIE OFT …«, brüllt er und tritt gegen einen Karton, » MUSS ICH DIE SICHERUNGEN DENN EIN- UND AUSSCHALTEN , BIS JEMAND VON EUCH SPACKOS WAS MERKT ?«
Keine Sekunde drauf hören wir einen Schrei. Hektisch schauen wir uns an, um zu sehen, wer fehlt. Es ist Manni.
»Leute! Hallo? Hilfe! Ich hab Scheiße gebaut!«, tönt es von Österreich her.
»Wo zum Teufel steckst du?«, rufe ich und gehe ich Richtung des Geräuschs.
»Im Lüftungsschacht! Ich komm weder vor noch zurück!«
»Wo wolltest du denn hin?«
»Den Raab schlagen!«
»Wir müssen ihn aufpieksen!«, krakeelt Phil.
» HALLO ?«, tobt der Zwerg mit knallrotem Gesicht. » ICH WAR EINGESPERRT FÜNF STUNDEN LANG . INTERESSIERT DAS JEMANDEN ?«
»Da sind fast zehn Meter unter mir!«, jammert Manni aus dem Schacht.
Ich spüre Ditters’ Hand auf meiner Schulter. »Fünf Jahre ohne Bewährung, wenn du ihn tatsächlich eingesperrt hast. Sieben Jahre ohne Bewährung, wenn Manni was passiert.«
Erschrocken starre ich meinen Anwalt an. »Addieren sich die Strafen im deutschen Recht oder kriegt man einfach die längere?«
»Du bist echt ein hoffnungsloser Fall, Simon Peters.«
Ich schlucke und schaue in die Gesichter meiner Freunde. In jedem, außer bei Flenn, steht das Gleiche. »Okay«, grummle ich,
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