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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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seinen Arm um ihre Taille, was Cayden einen leichten Stich versetzte. „Es ist mehr als ihre Fähigkeit in der Heilkunst, die mich fasziniert. Für den Mob in Londons Gassen gilt sie als Hexe. Unter meiner Obhut ist sie sicher vor dem Pöbel, der sie jagt. Ich habe sie zu einem Vampir gemacht, um ihre Kräfte zu steigern und vor allem, für die Ewigkeit zu bewahren.“
    Cayden ließ sich seine Überraschung über die Tatsache, dass er sich anscheinend in London befand, nicht anmerken. Meilenweit entfernt vom Schlachtfeld in Preston. Wie konnte er so schnell hierher gelangen? Er stieß sich von der Liege ab und stellte sich vor den Baron, den er um einen Kopf überragte.
    „Anscheinend bin ich Euch zu Dank verpflichtet, Baron. Doch nun ist es an der Zeit für mich, zu gehen.“
    Die schmalen Lippen des Barons verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. „Nicht so hastig, junger Lord. Ihr solltet die Gelegenheit nutzen, zu lernen, gerade jetzt, wo Ihr an der Schwelle Eures neuen Daseins angelangt seid.“
    „Ihr sprecht in Rätseln.“
    „Erlaubt mir eine Frage. Wie alt seid Ihr?“
    Einen Augenblick zögerte Cayden, weil er irgendwann aufgehört hatte mitzuzählen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine jugendliche Identität auf unterschiedlichste Weise zu erklären. Erst vor ein paar Jahren wurde ihm das Ganze zu kompliziert, sodass er beschloss, für eine unbestimmte Zeit seine Heimat zu verlassen.
    „Siebenundachtzig.“
    Baron Luthias nickte anerkennend. „Eine beachtliche Zeit, in der es Euch gelang, mit dem Aussehen eines jungen Mannes an einem Ort zu verweilen.“
    Es strömte eine unbestreitbare Gefahr von Luthias aus. Cayden erkannte schnell, dass dieser Mann keinen Widerspruch duldete. Dennoch erweckten die Worte seine Neugier. Unweit von der Liege entfernt standen seine Stiefel. Er ging darauf zu, um sie anzuziehen.
    „Es war nicht immer einfach, wie ein gewöhnlicher Mensch zu leben.“
    „Das liegt daran, dass Ihr weder gewöhnlich noch menschlich seid. Ihr seid ein Geborener. Eine absolute Rarität. Als solcher durchlebtet Ihr zunächst eine menschliche Lebensspanne, wobei sich mit der vollen, biologischen Reife der Alterungsprozess einstellt. Nun überschreitet Ihr die Grenze, lasst Euer irdisches Dasein endgültig hinter Euch und steigt wie ein Phönix aus der Asche in die unendlichen Sphären einer vampirischen Existenz ein.“
    Ein bisschen melodramatisch für Caydens Geschmack, doch musste er zugeben, dass das ungleiche Paar ihn für sich einnahm. Regungslos verharrte Alice mit geweiteten Augen neben dem alten Mann. Ihre blasse Miene, so ebenmäßig wie feinstes Teeporzellan, eingerahmt von schwarzem Haar, ließ ihre spektakuläre Schönheit erstrahlen. Ein Flehen lag in ihrem Blick, gepaart mit einem sanften Zittern ihrer Unterlippe. Wärme strömte durch sein Herz. Er wusste, wenn er fortgehen würde, dann nicht ohne sie.
    „Alice!“ Baron Luthias Stimme durchschnitt die Luft. „Geh und bereite ein Gemach für unseren Gast.“
    Sämtliches Leben schien unter Luthias Befehl aus ihren Augen zu weichen. Ihr Rücken versteifte sich. Sie nickte mechanisch und begab sich unverzüglich mit steifen Schritten zur Tür, als hätte nicht sie die Kontrolle über ihre Gliedmaßen, sondern ein unsichtbarer Puppenspieler.
    Cayden stutzte, weil ihm plötzlich auffiel, dass sich Luthias unbewegliche Miene überhaupt nicht gerührt hatte. Ebenso konnte er sich nicht erinnern, ob dessen Worte laut ausgesprochen worden waren. Das sardonische Blitzen in Luthias stechendem Blick hingegen war ihm nicht entgangen. Unsterblichkeit war eine Sache, Wahnsinn jedoch eine andere.
    Fürs Erste erschien es angebracht, Luthias Spiel mitzuspielen. Interesse brauchte er nicht vorzuheucheln, auch wenn er ahnte, dass die Ambitionen des Barons eine Grenze überschritten, die er nicht bereit war, zu übertreten.
    Mit einer väterlichen Geste legte Luthias seinen Arm auf seine Schulter.
    „Mein Haus ist ein Hort der Sicherheit für meine Schützlinge. Jeder Übernatürliche soll hier Obhut finden, bis wir genug sind, um gegen diese erbärmlichen Blutbeutel ins Feld ziehen zu können.“
    Schweigend ließ sich Cayden durch eine Tür am anderen Ende des Raumes führen. Sofort schlug ihm der bestialische Gestank von Verwesung entgegen. Er unterdrückte ein Husten und hielt den Atem an.
    Gemeinsam stiegen sie die unebenen Stufen hinab, begleitet von einem lauter werdenden Summen. Sie erreichten ein Verlies, in dessen

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