Ufer des Verlangens (German Edition)
und betrogen haben.«
Der Lord erwiderte das Lächeln nicht. Unwillig wedelte er mit der Hand, als wollte er Fliegen verscheuchen. »Ist das denn überhaupt noch wichtig? Fest steht, dass seither Krieg herrscht und niemand aus den Fisch-und Fangrechten einen Gewinn zieht.« In einem plötzlichen Zornesausbruch schlug er auf die Tischplatte, dass die Becher tanzten. »So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Es muss Frieden geschaffen werden! Der See muss wieder befischt werden, sonst sind wir bald alle ruiniert.«
»Die Kingsleys werden nicht freiwillig auf den See verzichten«, warf Charles Connor ein. »Und auch wir hätten Bedarf an den Fischen. Eine Lösung muss gefunden werden, die sowohl für die Kingsleys als auch für die McLains von Vorteil ist.«
Oben im Haus wurde eine Tür schwungvoll aufgerissen, schnelle Schritte eilten einen Gang entlang. Einperlendes Frauenlachen war zu hören, so ansteckend, dass die Männer am Tisch ihre Sorgen für einen Augenblick vergaßen und selbstvergessen lächelten. Dann schlug erneut eine Tür, die Schritte und das Lachen verklangen. Im Haus herrschte wieder Stille, nur unterbrochen von den Geräuschen aus der Küche, in der die Köchin und ihre Gehilfen das Mittagsmahl zubereiteten.
»Ich glaube, mir kommt da ein Einfall«, sagte der Lord. »Ich glaube sogar, es ist ein guter Einfall … mehr als gut. Zumindest brächte er für beide Seiten Vorteile.« Er hing seinen Gedanken nach, dann richtete er das Wort an den Verwalter: »Ich werde heute Abend mit meinen Töchtern in der Halle speisen. Euch bitte ich, ebenfalls an diesem Mahl teilzunehmen und die Bücher mitzubringen. Ich benötige eine genaue Aufstellung über unser gesamtes Vermögen.«
Der Verwalter sah seinen Herrn fragend an, doch der alte Mann lächelte nur verschmitzt, und in seinen blauen Augen, die trotz des Alters noch hell und klar in die Welt schauten, entstand ein zufriedener Ausdruck.
Das Mahl war von einer Üppigkeit wie sonst nur an Feiertagen. Es gab ein gebratenes Huhn, dazu Porridge, Plumpudding und starkes, selbst gebrautes Ale.
Lord Arthur McLain beobachtete lächelnd seine beiden Töchter. Die Altere, Zelda, sah im Schein der Talglichter wie eine Amazone aus. Die roten Locken umgaben ihren Kopf wie einen glühenden Heiligenschein. Ihre meergrünen Augen sprühten vor Temperament, der sinnliche Mund mit den vollen roten Lippen lachte, und ihre Worte flössen wie eine sprudelnde Bergquelle durch die hohe Halle.
Joan dagegen, mit ihren 17 Jahren gerade einmal elfMonate jünger als Zelda, wirkte wie eine griechische Göttin. Anders als bei Zelda sah man ihr die keltische Abstammung nicht so deutlich an. Ihre Haut war von beinahe durchscheinender Blässe, das Haar von einem satten Goldton, und die hellgrauen Augen hatten einen melancholischen Ausdruck. Waren Zeldas Bewegungen schnell und manchmal fahrig, so bewegte sich Joan gemessen und voller Anmut. Während Zelda wie ein Wasserfall redete und ihr perlendes Lachen von morgens bis abends durch das ganze Haus zu hören war, sprach Joan wenig, doch ihre Äußerungen waren stets wohl durchdacht und hatten ihre Gültigkeit über den Tag hinaus. Es war noch niemals vorgekommen, dass sie ein Versprechen nicht eingehalten, eine Verabredung vergessen hatte oder gar ihren Aufgaben nicht pünktlich und zuverlässig nachgekommen wäre.
Einmal mehr wunderte sich der alte Lord über die mangelnde Ähnlichkeit seiner beiden Töchter. Zelda war das Abbild ihrer verstorbenen Mutter. Sie war mutig, manchmal sogar tollkühn, und kannte weder Angst noch Sorgen. Sie nahm das Leben als Geschenk, das jeden Tag eine neue, wunderbare Überraschung für sie bereithielt. Probleme löste sie entschlossen, fantasievoll und möglichst rasch, Hindernisse sah sie als Herausforderungen.
Joan dagegen kam ganz ihrem Vater nach. Auch er war ein stiller, nachdenklicher Mann, dem das Lachen nicht so leicht über die Lippen kam.
Doch so unterschiedlich die beiden Schwestern auch sein mochten, ihre Liebe zueinander war durch nichts zu erschüttern. Vielleicht hingen sie deshalb so sehr aneinander, weil die eine gerade das hatte, was der anderen fehlte. In gewisser Weise ergänzten sich ihrer beiderWesen auf das Beste, und kaum waren sie für ein paar Stunden voneinander getrennt, so verspürten sie Sehnsucht nacheinander. War eine krank, so dauerte es nicht lange, und auch die andere lag elend im Bett. Schon oft hatte sich der alte Lord gefragt, was wohl geschehen würde, wenn
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