Ufer des Verlangens (German Edition)
Stimme.
Mit einer energischen Handbewegung wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Ihr Gesicht wirkte plötzlich ganz entschlossen.
»Nein«, sagte sie. »Du irrst dich. Es gibt keine Lösung. Wir werden uns niemals wiedersehen.«
»Aber noch ist nichts geschehen«, erwiderte er bittend. »Noch sind wir nicht getrennt, können am Abend zum See kommen … «
»Nein«, wiederholte sie. »Ich werde nicht mehr zum See kommen. Ich ertrage es nicht, dich zu lieben, dir aber niemals gehören zu können. Wir sind füreinander verloren, und jedes weitere Treffen verlängert nur die Qual des Abschieds.«
Der Mann nickte traurig, dann gestand er: »Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr. Und ich werde dir immer gehören, was auch geschieht. Ich trage dich in meinem Herzen. Und erst, wenn dieses stirbt, stirbst auch du in mir. Du bist meine Frau. Nicht vor den Menschen, doch vor Gott. Und selbst wenn ich eine andere heirate, so wirst du immer die erste Stelle in meinem Herzen besetzen.«
Sie lächelte unter Tränen. »Ja«, sagte sie. »Ich gehöre dir, und du gehörst mir. Aber … ich möchte nicht, dass wir uns trennen, ohne uns einander ganz gezeigt, ganz geschenkt zu haben. Eine Nacht, diese Nacht, bleibt uns nur. Und ich möchte, dass wir in dieser Nacht das Fest unserer Liebe feiern.«
»Du … du meinst, du willst mir deine Unschuld opfern? Als Abschiedsgeschenk?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und lachte leise. »Nein, nicht opfern. Ich möchte dir meine Unschuld schenken. Sie war von Anfang an für dich bestimmt. Das Schicksal hat entschieden, dass ich diese Unschuld nicht mehr bewahren muss. Ich werde sie nicht mehr brauchen. Dort, wo ich hingehen muss, hat man für die Unschuld keine Verwendung. Einmal, ein einziges Mal nur möchte ich die Liebe kosten, einmal nur dir gehören und für den Rest meines Lebens leichten Herzens verzichten. Meine Unschuld ist alles, was ich dir schenken kann. Mehr habe ich nicht.«
Der Mann schluckte. Er fürchtete, dass auch ihmgleich Tränen in die Augen treten würden. Eine heiße Welle der Liebe durchflutete ihn, der Schmerz über den nahen Abschied riss sein Herz in Fetzen. Gott allein wusste, wie sehr er dieses Mädchen liebte, wie drängend er es begehrte.
Er richtete sich halb auf, kniete vor ihr. Seine Hände umfassten mit aller Zärtlichkeit, zu der er fähig war, ihr schmales Gesicht. Ihre Augen ruhten auf ihm, klar, unschuldig, ohne Arg und Falsch. Sie wusste, was sie ihm da für ein Angebot machte. Und er las in ihren Augen, dass er dieses Angebot annehmen musste, um ihr eine süße Erinnerung für all die kommenden Jahre zu bescheren. Eine einzige Erinnerung, die ausreichen musste für den Rest ihres Lebens.
»Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr«, sagte er wieder, und seine Stimme klang belegt und rau.
Dann berührte er mit seinen Lippen sanft die ihren, schmeckte das Salz der Tränen darauf, den bitteren Sud des Abschieds und den süßen Honig des Verlangens. Ganz leicht nur öffnete sie den Mund, gewährte seiner Zunge Einlass, ließ ihn kosten von sich, kostete ihn.
Bald vergaßen sie alles um sich herum, wussten weder Ort noch Zeit. Es gab nur noch sie beide, ihre Münder, ihren Atem, der zu einem wurde, zwei Lippenpaare, die zu einem verschmolzen, zwei Leiber, die sich aneinander drängten, miteinander verwachsen, verschmelzen wollten, um niemals wieder voneinander getrennt zu werden.
Das Begehren wuchs in ihnen, das Verlangen erwachte. Doch es war keine wilde, uferlose Begierde, sondern eine stille, die aus dem Grund der Seele kam, von dort, wo Lust und Liebe eines sind und sich unauslöschlich ins Herz brennen.
Behutsam machte er sich von ihr los, sah sie mit neuenAugen. Er sah ihr langes, feines Haar, das wie ein Schleier das fein geschnittene Madonnengesicht umrahmte. Er sah in ihre Augen, die wie das Wasser des Sees im Mondlicht schienen, silbrig, sanft und voller Geheimnisse. Ihr Mund, leicht geöffnet, mit vom Kuss noch brennenden Lippen, schimmerte feucht und verlockend wie die Blütenblätter der Seerosen.
Er konnte sich nicht losreißen von ihrem Anblick, betrachtete staunend das Wunder der Liebe, das in dem Augenblick, als ihre Lippen miteinander verschmolzen waren, aus diesem Mädchen eine Frau gemacht hatte. Eine alles wissende, alles verstehende Frau, ein Weib, das das Geheimnis des Lebens in sich trug, bereit, es in dieser Nacht mit ihm zu teilen. Fremd und gleichzeitig vertraut erschien ihm das Mädchen, das er gleich zur
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