Ulysses Moore 6: Der erste Schlüssel (German Edition)
fragte jemand.
»Aber sicher!«
»Das glaube ich nicht.«
»Er ist so dick wie ein Schweinchen.«
Sie schleiften Jason zum Regenwasserabfluss des Kreuzgangs. Nachdem mehrere kleine Diebe dort hinuntergestiegen waren, wurde Jason hinterhergeschoben. Die stickige Luft raubte ihm fast den Atem und er verlor das Bewusstsein.
Als Jason die Augen wieder öffnete, befand er sich in einem schwach erleuchteten Raum, in dem es angenehm nach Weihrauch duftete. Er war nicht mehr gefesselt. Vorsichtig stand er auf. Sein Kopf dröhnte.
Er wankte zu dem einzigen Fenster hinüber, das durch ein kunstvoll geschmiedetes Gitter gesichert wurde. Dahinter erstreckte sich ein Hof, der von eigenartig gestalteten, dunklen Gebäuden umgeben war.
Hinter seinem Rücken öffnete sich eine Tür. Ein alter Mann trat ein.
Ich grüße dich«, sagte er und hob die Hand.
»Wer bist du?«, fragte Jason ängstlich.
»Ich heiße Rigobert«, antwortete der Alte. »Folge mir bitte«, fügte er hinzu.
Jason klopfte seine Taschen ab und stellte entsetzt fest, dass man ihm alles weggenommen hatte, was darin gewesen war. »Meine Schlüssel! Und meine Münzen!«
»Komm bitte mit. Wir haben alles bei unserem Herrn abgeliefert«, sagte Rigobert nur.
»Wer ist euer Herr?«
»Der Probst der dunklen Kanäle, der Herr der Abflussdiebe. «
Der Korridor, den sie entlanggingen, hatte überhaupt nichts mit einem Abfluss gemeinsam. Er war in einem zarten Malventon gehalten und duftete auch nach diesen Blumen.
»Darf man erfahren, warum ihr mich gefangen habt?«, fragte Jason.
»Deine Schwester ist hinter einer Tür verschwunden, die sich nicht öffnen lässt«, erklärte Rigobert. »Und du wolltest durch dieselbe Tür gehen. Ich glaube, dass dich das zu einer wichtigen Person macht.«
»Du irrst dich!«, protestierte Jason.
Rigobert blieb unter einem hohen Bogen stehen und zeigte auf das dahinterliegende Zimmer. »Bitte«, sagte er. »Der Herr der Abflussdiebe erwartet dich.«
Jason trat ein.
Das Zimmer erstrahlte in einem intensiven Blau: Nicht nur der Fußboden war hellblau, sondern auch die kunstvoll bestickten Vorhänge und die Teppiche an der Wand.
Der Herr der Abflussdiebe saß im Schneidersitz auf einem Thron vor der Wand gegenüber der Tür. Jason ging vorsichtig näher.
»Sei gegrüßt!«, ertönte eine dunkle Stimme. »Du also bist verantwortlich dafür, dass ich heute Nacht keinen Schlaf fand.«
»Ich glaube, es liegt ein Missverständnis vor«, erwiderte Jason und stellte mit Verwunderung fest, dass der Herr der Abflussdiebe einen leuchtend hellblauen Morgenmantel trug. Und dass er das Gesicht eines Jungen seines Alters hatte. Jason starrte ihn mit offenem Mund an.
»Was für ein Missverständnis, junger Fremder?« Als Jason nicht antwortete, zeigte der Herr der Abflussdiebe auf einen Tisch neben dem Thron. Auf ihm lagen mehrere Gegenstände, fein säuberlich aufgereiht. »Das müssten deine Sachen sein. Nimm sie ruhig, wenn du sie behalten willst.«
Das ließ sich Jason nicht zweimal sagen. Er schnappte sich die vier Schlüssel und steckte sie in die Tasche. »Warum hast du mich hierher bringen lassen?«
Der Junge in dem hellblauen Morgenmantel stieg von seinem Thron herunter. »Warum? Weil mich deine Geschichte neugierig gemacht hat. Man hat mir von deiner Schwester erzählt und davon, dass sie durch eine Tür gegangen ist, die nicht einmal Balthasar hatte öffnen können.«
»Du kennst Balthasar?«
Der Herr der Abflussdiebe dachte kurz nach. »Habe ich Balthasar gesagt? Na ja, dann muss ich ihm tatsächlich einmal begegnet sein. Ach ja, je jünger man wird, desto mehr vergisst man! Deshalb schreibe ich mir immer alles auf. Komm mit, junger Fremder. Und erzähle mir alles über diese Tür, die sich nicht öffnen lässt.«
Jason folgte dem Herrn der Abflussdiebe in einen langen Korridor. Sie durchquerten einen Saal, in dem Tausende von Kerzen brannten, und betraten ein fünfeckiges Zimmer, von dem fünf Türen abgingen.
In dem Raum stapelten sich dicht beschriebene Papierrollen. Geschickt an der Decke angebrachte Spiegel warfen das Kerzenlicht aus den angrenzenden Sälen auf die Tische.
»Das hier ist mein Schreibzimmer, hier halte ich all meine Erinnerungen fest«, erklärte der Herr der Abflussdiebe. Er deutete auf eine Schriftrolle. »Die Tür, von der ich sprach, befindet sich gleich neben dem Brunnen der Ewigen Jugend. Kannst du mir etwas darüber sagen?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst! Ich weiß ja nicht
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