Ulysses Moore 8: Der Herr der Blitze (Staffel 2 Band 2) (German Edition)
darunter auch der Illustrator Morice Moreau.
Julia legte sich das Heft auf den Schoß, blätterte weiter, sah die Anwesenheitslisten durch und las die Einträge, die nach und nach seltener wurden, bis die Seiten schließlich leer blieben, so als hätte es ab dem Frühsommer keine Zusammenkünfte mehr gegeben. Die letzte ausgefüllte Seite war auf den 19. Juni 1909 datiert. Auf ihr war der Tod eines der Mitglieder vermerkt sowie der »Vortrag von Monsieur Moreau über seine geplante Suchexpedition nach dem imaginären Dorf Arcadia«.
Volltreffer!, dachte Julia und legte einen Finger zwischen die Seiten. Sie blätterte noch eine Weile in dem Heft herum in der Hoffnung, weitere interessante Informationen zu entdecken, und legte es schließlich weg. Sie blieb sitzen und dachte nach. Doch schnell wurde ihr klar, dass ihr diese Entdeckung bei der Suche nach dem verschwundenen Notizbuch nicht weiterhelfen würde.
Sie ging noch einmal das durch, was sie über das Büchlein wusste: Es war kein normales Buch, sondern ein Fensterbuch. Wenn man darin blätterte, erschienen auf den Seiten die Porträts der Leute, die im selben Moment ihr eigenes Exemplar aufgeschlagen hatten. Fensterbücher waren äußerst selten und das Verfahren ihrer Herstellung war bis heute ein Geheimnis geblieben. Von diesem hier gab es mindestens vier Exemplare. Eines hatte Anita in Morice Moreaus Atelier in Venedig gefunden. Es war unvollständig, denn die letzten vier Seiten waren leer. Das konnte bedeuten, dass es das private Exemplar des Malers gewesen war und dass er es an seinen letzten Wohnort mitgenommen hatte. Dem Nachschlagewerk
Maler auf Papier
zufolge war Moreau 1948 gestorben. Wenn er für die Fresken der Ca’ degli Sgorbi sieben Jahre gebraucht hatte, musste er spätestens 1941 dorthin gezogen sein. Also waren zwischen seiner Abreise nach Arcadia und seinem Umzug nach Venedig 32 Jahre vergangen.
»Zweiunddreißig Jahre, das ist eine lange Zeit …«, murmelte Julia gedankenverloren vor sich hin.
Sie überlegte, was sie über die drei anderen Exemplare wusste. Eines befand sich im Besitz jener mysteriösen Frau, die über das kleine Buch um Hilfe bat: Die Frau aus Arcadia, die Anita, Rick und Jason dazu gebracht hatte, sich auf die Suche nach diesem Dorf zu machen. Ein weiteres Exemplar war in den Händen eines Mannes, der etwas Furchteinflößendes an sich hatte und vermutlich zum Klub der Brandstifter gehörte. Wo mochte er sich aufhalten? Vielleicht in London, wo der Klub sein Hauptquartier hatte? Blieb noch das vierte Exemplar, das verloren gegangen zu sein schien. Oder hatte es doch einen neuen Besitzer gefunden, der sich aber noch nicht zu Erkennen gegeben hatte?
Plötzlich hörte Julia, wie die Küchentür im Erdgeschoss aufging. Kurz darauf näherten sich Schritte auf der Treppe. Julia hielt die Luft an, entspannte sich aber schnell wieder. Am unregelmäßigen Takt der Schritte erkannte sie Nestor. Er musste vom Haus der tausend Rufe zurück sein.
Als der alte Gärtner die Bibliothek betrat, fragte Julia ihn, ohne aufzublicken: »Wie viele Leute hatten eigentlich Zugang zu deinen Büchern, Nestor?«
Er betrachtete das Heft, das neben Julia auf dem Boden lag. »Nicht viele, meine Frau, Leonard …«
»Sonst niemand?«
»Peter und Black lasen so gut wie nie. Auch die Biggles-Schwestern waren alles andere als Leseratten.«
»Und was war mit Pater Phoenix?«, wollte Julia wissen.
»Nachdem er sich entschlossen hatte, Pfarrer zu werden, ging er für viele Jahre von hier weg. Ein bisschen so wie Klio Biggles, nachdem sie entdeckt hatte, dass sie ein Kind erwartete. Als Pater Phoenix zurückkehrte, um sich um die Kirchengemeinde zu kümmern, besuchte er mich ein paarmal, aber ich erinnere mich nicht, ihm jemals ein Buch geliehen zu haben.«
»Kannst du dich nicht erinnern oder hast du ihm niemals eines geliehen?«
»Morice Moreaus Buch kam direkt aus London«, erklärte Nestor. »Es war eines von jenen Büchern, die mein Großvater vernichten wollte und die mein Vater und ich zu retten versuchten. Deshalb erscheint es mir wenig wahrscheinlich, dass ich es jemandem gezeigt oder geborgt haben soll.«
»Bleibt die Tatsache, dass es jemand weggenommen haben muss«, schloss Julia.
»Aber warum?«
»Weil sich dieser jemand sehr für den Inhalt des Buchs interessierte?« Julia wiegte den Kopf hin und her. »Oder weil er vielleicht das Sterbende Dorf finden wollte?« Sie dachte kurz über diese Möglichkeit nach. »Was ist denn mit
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