Ulysses Moore – Die Insel der Masken
Musikschule unserer Stadt?«
»Und natürlich können nur wir beide sie fragen«, sagte Rossella zu Julia.
»Warum?«
»Die Schule ist für Mädchen und Frauen. Sie lernen dort singen und Geige spielen. Der Zutritt ist Männern untersagt. Treten die Musikerinnen vor Publikum auf, verbergen sie sich hinter einem Gitter.«
»Hier sind alle besessen davon, sich zu verstecken«, brach es aus Rick heraus. »Gitter, Geheimnisse, Masken! Kann man hier denn gar nichts in aller Öffentlichkeit tun?«
Alberto Caller ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Er drückte den Gegenstand, den er von zu Hause mitgenommen hatte, fester an sich, als befürchte er, er könne ihm entgleiten. Nach einer Weile murmelte er: »Nur sehr wenige Dinge.«
»Wenigstens laufen Sie beide nicht mit Masken herum, so wie die anderen Venezianer«, meinte Julia.
»Die Masken verbergen nur die Gesichtszüge. Die Züge des Herzens zu verbergen, erfordert ein viel größeres Geschick«, erwiderte Alberto nachdenklich. »Aber wir sind jetzt angekommen. Geht hinein und fragt. Vielleicht gelingt es euch, etwas über diese Spieluhr herauszufinden.«
Rick und Alberto blieben draußen stehen. Während sie auf die Rückkehr von Rossella und Julia warteten, stellte sich ein öffentlicher Ausrufer vor einem Reiterdenkmal auf und brüllte: »
Der Klatsch der Frauen!
Kommt heute alle in das Teatro Sant’Angelo! Gespielt wird Goldonis Komödie
Der Klatsch der Frauen!«
»Das ist endlich mal eine gute Nachricht«, sagte Alberto Caller lächelnd. »Das Stück soll sehr unterhaltsam sein. Warst du schon mal im Theater?«
Rick schüttelte den Kopf.
»Wenn ihr Lust habt, könnten wir hingehen. Wie lange wollt ihr in Venedig bleiben?«
Erst in diesem Augenblick wurde Rick bewusst, wie schnell die Zeit vergangen war. Sie hatten noch überhaupt nichts herausgefunden und doch stand die Sonne schon ziemlich tief am Himmel. Seine Hoffnung, sie könnten Peter an einem einzigen Nachmittag finden, schwand. »Nur heute, glaube ich.«
»Schade. Wir hätten zusammen einen lustigen Abend verbringen können.«
Rick musste an Jason denken, mit dem sie sich zum Sonnenuntergang verabredet hatten. Wer weiß, was gerade in Kilmore Cove geschah! Ob sie wohl jemals nach Hause zurückkehren konnten? Hoffentlich brachten Julia und Rossella Licht ins Dunkel. Doch als die beiden das Gebäude verließen, sah er schon an ihren Gesichtern, dass sie nichts Neues herausgefunden hatten.
»Keiner der Lehrer hat die Melodie jemals gehört«, berichtete Julia. »Das heißt, dass die Melodie noch nicht allzu alt sein kann.«
»Was soll das heißen: noch nicht allzu alt?«, fragte Alberto.
»Nichts. Das habe ich nur so gesagt.« Julia seufzte.
Rick dachte nach. Möglicherweise war die Melodie erst nach dem 18. Jahrhundert komponiert worden.
»Also haben wir sozusagen ein Loch ins Wasser geschlagen?«, meinte Alberto seufzend.
»Es ist nicht ganz so schlimm«, erwiderte Rossella und hielt einen Zettel hoch. »Der Geigenlehrer hat uns die Adresse eines Handwerkers gegeben, der diesen Rahmen gemacht und die Spieluhr eingebaut haben könnte.«
»Dann sollten wir zu ihm gehen«, erwiderte Alberto.
Durch ein Wirrwarr von Gassen und Gässchen gelangten Julia und Rick zum zweiten Mal auf den Markusplatz, auf dem einige Damen in weiten Reifröcken ihren Nachmittagsspaziergang machten.
Alberto führte sie zu einem Café unter den Arkaden, die den Platz einrahmten.
»Immer, wenn wir hier vorbeikommen«, erklärte er, »leisten wir uns mindestens ein paar kleine Vanille-Schokolade-Kuchen.«
Auf dem Schild über dem Eingang des Cafés stand der Name:
Alla Venezia Trionfante
. Alberto Caller vertraute ihnen an, dass die Venezianer es schlicht und einfach
Café Florian
nannten, nach dem Besitzer, einem Herrn mit ausladendem Schnurrbart, der Floreano hieß.
Die Speisekarte bot eine Auswahl an köstlichen Erfrischungen. Es gab mit Blumenessenz parfümiertes Wasser, Limonaden, Schneesorbets, Eis und Vanille-Schokoladen-Törtchen. Alberto kaufte einige davon und sie wurden noch warm in Papierförmchen serviert.
Als sie sich anschickten das Café wieder zu verlassen, verfinsterte sich plötzlich Signor Callers Miene.
»Graf Cenere«, flüsterte er leise. Er warf Rossella einen besorgten Blick zu. Auch sie sah erschrocken aus.
»Vielleicht hat er uns nicht gesehen«, meinte sie.
Beide Callers drehten sich ruckartig zu Julia und Rick um.
»Was ist los?«, fragte Julia.
»Eine schlimme Begegnung,
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