Verliebt, verlobt und eingesargt
Der erste Anruf erreichte mich genau drei Minuten vor Mitternacht!
Ich hatte auf der Bettkante gesessen und wollte gerade die Beine hochschwingen, als der moderne Quälgeist läutete. Ich griff zum Hörer und brummte mein »Ja bitte« in die Muschel.
»Öffne den Sarg!«
Mehr sagte der unbekannte Anrufer nicht. Ich kam auch nicht dazu, mich auf seine Stimme zu konzentrieren, denn er legte nach diesem einen Satz sofort auf.
Verblüfft schaute ich auf den Hörer. Nein, Einbildung war es nicht gewesen, vielleicht ein Scherz?
Aber wer scherzte schon mit Anrufen dieser Art kurz, vor Mitternacht? Okay, es gab genügend Spinner, die sich einen Spaß daraus machten, fremde Menschen durch dumme Anrufe in der Nacht zu erschrecken, aber bei mir lag der Fall anders. Ich war zwar auch ein normaler Mensch, hatte aber einen unnormalen Job, denn wer jagt schon Geister und Dämonen?
Daß mir die unwahrscheinlichsten Dinge widerfuhren, lag auf der Hand, und so sah ich den Anruf auch als eine ernste Sache an. Öffne den Sarg!
Mehr hatte er nicht gesagt, dieser makabre Witzbold. Särge gab es genug. Stellte sich die Frage, welchen ich öffnen sollte. In der letzten Zeit war ich auf keiner Beerdigung gewesen, weder dienstlich noch privat. Was bezweckte der fremde Anrufer also damit? Eines jedenfalls hatte er geschafft. Ich war wieder hellwach und würde auch nicht die Nerven finden, mich jetzt hinzulegen und einzuschlafen. Ich schaute aufs Telefon. Möglicherweise klingelte der Unbekannte noch einmal durch, um mir weitere Informationen zu geben. Man mußte schließlich mit allem rechnen.
Also wartete ich.
Draußen war es bitterkalt. Eine frost-und sternenklare Nacht. In den Tagen zuvor hatte es geschneit, der körnige Schnee war sogar liegengeblieben.
Wieder klingelte es!
Bevor ich abhob, warf ich einen Blick auf die Uhr. Genau Mitternacht - Tageswende. Ich nahm den Hörer, kam aber nicht dazu, irgend etwas zu sagen, denn wiederum hörte ich nur den einen Satz des mir unbekannten Sprechers.
»Öffne den Sarg!«
Aufgelegt, fertig, basta. Ich saß da, wurde langsam wütend und flüsterte.
»Wenn ich den Sarg öffne, lege ich dich hinein, mein Freund. Diese Spaße mag ich nicht.«
Aber ich hatte mit meiner Vermutung recht behalten. Der Kerl hatte sich nicht nur mit einem Anruf begnügt. Vielleicht würde er noch ein drittes Mal durchklingeln.
Also warten.
Auf der Bettkante wurde es mir allmählich unbequem. Ich stand auf, reckte mich und trat ans Fenster, um den sternenklaren Himmel zu beobachten. Er bot ein wunderbares Bild. Wie gemalt lag er über der Riesenstadt London. Eine wahre Augenweide für Astrologen und Sterngucker. Über einer Großstadt wurde der Himmel nie richtig dunkel, auch jetzt schwebte unter ihm wie ein feiner Schleier der Widerschein zahlreicher Lichter.
Vier Minuten waren seit dem letzten Anruf vergangen. Der Unbekannte hatte die Zeit schon überschritten. Sollte ich mich getäuscht haben? Nein, es klingelte wieder!
Diesmal allerdings ließ ich mir Zeit. Der Knabe sollte merken, daß ich nicht nur auf dem Bett hockte und auf Anrufe wartete. Erst beim vierten Läuten nahm ich ab.
»Welchen Sarg soll ich öffnen?«
Diesmal war ich ihm mit der Frage zuvorgekommen und hörte plötzlich eine schimpfende Antwort. »Dann warst du also der Witzbold, der anständige Bürger mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt.«
Ich verdrehte die Augen. Der Anrufer war mein Freund und Kollege Suko, der seine Wohnung neben der meinen hatte. »Nein, so ist das nicht gewesen, Alter. Ich habe mit einem dritten Anruf gerechnet und auch damit, daß man mir wieder das gleiche sagen würde.«
»Öffne den Sarg!« wiederholte Suko. »Ja.«
»Das hat der Kerl mir auch gesagt.«
»Dann hat er uns beide angerufen.«
Suko lachte. »Ich wollte dich fragen, ob du mehr darüber weißt.«
»Nein, aber wir sollten die Leitung nicht zu lange blockieren. Vielleicht ruft er tatsächlich ein drittes Mal an und nennt Details.«
»Einverstanden.«
Wir legten zur gleichen Zeit auf. Der Fall wurde immer mysteriöser. Auch Suko war angerufen und gebeten worden, einen Sarg zu öffnen. Was steckte dahinter?
Ich wußte es noch nicht und wartete deshalb voller Ungeduld auf den dritten Anruf.
Der kam.
Um genau elf Minuten nach Mitternacht klingelte der Apparat abermals. Diesmal hob ich beim dritten Läuten ab und fragte sofort: »Welchen Sarg soll ich öffnen?«
Ich mußte ihn mit dieser Frage aus der Fassung gebracht haben, zunächst
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