Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
bisher noch nicht getroffen hatte.
Die Gebrüder Schere, Voynich und Mr Bloom standen ein paar Schritte abseits von den anderen.
»Kennen wir uns?«, fragte Bloom die Brandstifter-Brüder.
»Nicht persönlich«, antwortete der Lockenkopf. »Wir sind die, die Ihnen im Auto gefolgt sind.«
»Ach so. Angenehm.«
»Es ist uns ebenfalls eine Freude, Sie kennenzulernen.«
Inzwischen hatte auch Rick Jason umarmt. Er hielt ihn lange an sich gedrückt und flüsterte ihm dabei ins Ohr: »Ich glaube wirklich, dass wir uns viel zu erzählen haben.«
»Meinst du?«
»Ja, wirklich. Vertrau mir.«
»Wie immer, Alter.«
Black gähnte geräuschvoll und schlug Jason dann kraftvoll auf die Schulter. »Gute Arbeit, Junge! Ich würde sogar sagen: genial! Uns ist das nie gelungen.«
»Was gelungen? Wovon sprichst du?«
Anstatt zu antworten, zwinkerte Black ihm nur zu und ging beiseite.
Jetzt war Anita an der Reihe.
Als er sie vor sich sah, riss Jason die Augen weit auf: Ihr schwarzes Haar wehte im Wind und die Strahlen der Abendsonne verwandelten das Braun ihrer Augen in Bernstein. »Oh, hallo!«, brachte er mühsam heraus.
»Mach das nie wieder, Jason Covenant«, sagte sie und sah ihn dabei vorwurfsvoll an.
Jason lächelte nervös. »Ich verstehe, dass du wütend bist, ich …«
Anita legte die Spitze ihres Zeigefingers auf seine Nasenspitze und drückte leicht dagegen. »Dafür gibt es keine Entschuldigung«, unterbrach sie ihn, aber es klang nicht allzu unfreundlich.
Als Mr Bloom das sah, musste er lächeln. Von dort aus, wo er stand, konnte er nicht hören, was die beiden miteinander sprachen. Aber er bekam mit, wie seine Tochter Jasons Hand nahm und sie an sich drückte.
Neben ihm bemerkte Voynich trocken: »Liebe lässt sich nicht lenken.«
Die Statue der Fischerin war beschädigt. Jemand hatte sie umgeworfen und dabei war der Kopf vom Hals abgebrochen. Nestor stemmte die Statue hoch und stellte sie an ihren alten Platz.
Dann sah er sich um. Draußen standen noch zahlreiche Bewohner von Kilmore Cove, unterhielten sich über die ungewöhnlichen Ereignisse des Tages und nutzten die Gelegenheit, sich die Villa Argo einmal aus der Nähe anzuschauen.
Samthändchens Werkstattwagen schleppte zuerst Bowens beigefarbenen Kleinwagen ab und holte dann die rote Augusta 125, die hinter der nächsten Kurve der Küstenstraße geparkt worden war, während die Schaulustigen aus dem Ort die wildesten Theorien darüber entwickelten, wie die beiden Fahrzeuge wohl hier raufgekommen waren.
Aber was war aus dem Doktor geworden?
Nestor hatte von den Geschehnissen nach seinem Aufwachen in der Klinik von Anita erfahren. Aber eigentlich hatte es ihn nicht interessiert.
Von all dem, was er heute erlebt und erfahren hatte, interessierte ihn nur eines: dass Penelope noch am Leben war.
Sie war irgendwo da draußen und sie wusste den Weg nach Hause nicht mehr.
Dies waren die Worte des Weisen gewesen, die über Morice Moreaus Fensterbuch aus ihrer Welt zu ihm gelangt waren. Die Worte des Weisen … oder die Worte Jasons, der das alles geträumt hatte. Unmöglich zu sagen, wessen Worte es wirklich waren.
Seiner Ansicht nach konnte auch beides wahr sein: Träume und Wahrheit gehen oft genug Arm in Arm.
Als er die Statue der Fischerin aufgestellt hatte, war Nestor ein Zettelchen aufgefallen, das an der Unterseite ihres Sockels geklebt hatte. Es waren vier Zeilen eines Gedichts, in Penelopes Handschrift geschrieben.
Sie lauteten:
Weder das Vergehen der Zeit,
das an Leben und Liebe nagt,
noch das Verwehen der Worte
werden jemals …
Die letzte Zeile endete mit drei Pünktchen.
»…
mein Herz austrocknen lassen
«, vervollständigte Nestor das Gedicht, das er auswendig kannte.
Wann hatten sie es geschrieben? Bei welcher Gelegenheit, auf welcher ihrer zahlreichen Reisen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Es war schon so viel Zeit vergangen, seit sich seine Frau und er zusammen diese harmlosen Verse ausgedacht hatten. Doch die vier Zeilen riefen ihm schmerzhaft Penelopes Brief in Erinnerung und alles, was damit zusammenhing.
Zum wiederholten Male fragte er sich, wo sie in diesem Augenblick sein mochte. Jason hatte es die Weisen nicht gefragt. Oder, wenn er es gefragt hatte, so war die Antwort irgendwo zwischen den Seiten des Fensterbuchs hängen geblieben.
Aber wo auch immer sie sich befinden mochte – das Einzige, was Nestor mit Gewissheit wusste, war, dass er sie nicht noch jahrelang weiter umherirren lassen würde.
»Es
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