In den Armen des Feindes
1. Kapitel
August 1307
Verheiratete Frauen hatten nie solche Probleme.
Die Burg von Beaumont war von Barbaren umstellt, und alle erwarteten ausgerechnet von der ledigen Tochter des Hauses, dass sie die Eindringlinge aufhielt. Zornig hieb Rosalind de Beaumont mit der Faust auf den Tisch, dass all die kleinen, mit Blumen gefüllten Krüge hochsprangen.
Wo waren jetzt Gregory Evandale und sein Heiratsversprechen, jetzt, wo sie einen Mann brauchte, der ihre Leute in die Schlacht führte?
Rosalinds Verwalter stürzte in das Turmzimmer und riss sie aus ihren Gedanken. Die Schnelligkeit, mit der John über die am Boden ausgestreuten Binsen auf sie zu rannte, strafte sein Alter von immerhin fünfzig Jahren Lügen. Erst kurz vor ihr kam er zum Stehen. "Diese Bestien verlangen, mit dem Herrn von Beaumont zu sprechen, Mylady."
"Zu schade nur, dass Beaumont keinen Herrn hat." Rosalind rieb sich die schmerzenden Schläfen. Wenn sie bloß einen Ausweg wüsste! Es war ein sorgsam gehütetes Geheimnis, dass Beaumont nicht von einem Sohn, sondern einer Tochter befehligt wurde. Nachdem drei Jahre zuvor ein Feuer den Besitz verwüstet hatte, halfen ihr die treuen Gefolgsleute, den Anschein zu erwecken, ihr Bruder sei nicht zusammen mit den Eltern in den Flammen umgekommen. Um ihrer Sicherheit willen musste sie diese Lüge aufrechterhalten, und zwar so lange, bis sie eines Tages vom König die Erlaubnis erhalten würde, den Knappen ihres Vaters zu heiraten. Dann erst wäre alles wieder gut.
Und jetzt dieser Überfall!
Um das Maß voll zu machen, war sie an diesem Morgen auch noch mit Fieber und Kopfschmerzen erwacht.
"Wir haben immerhin annähernd zwanzig Ritter in unseren Mauern", gab John zu bedenken und beugte sich vor, um einen Krug wieder aufzurichten, der von ihrem Schlag auf den Tisch umgefallen war.
"Ritter?", spottete Rosalind. "Die meisten der Männer, die Ihr Ritter nennt, haben noch nie eine Schlacht miterlebt. Und was nützen zwanzig Ritter, wenn diese Barbaren vor meinem Tor – was würdet Ihr sagen, wie viele Männer die haben?"
"Über hundert, Mylady." Er wischte mit seiner Tunika eine kleine Wasserpfütze vom Tisch.
"… wenn diese Schotten über einhundert Männer haben?"
Mittlerweile hatte sich fast ihr halber Haushalt in das Turmzimmer gedrängt, und die Menschen lauschten furchtsam dem Gespräch. Schon einmal waren die Bewohner von Beaumont von Schotten angegriffen worden, und alle hatten jetzt Angst vor einem weiteren Massaker. Der Himmel musste ihr beistehen! Sie konnte doch nicht zulassen, dass ihre Leute erneut leiden mussten.
John räusperte sich. "Wer wird mit den Eindringlingen sprechen?"
Rosalind fiel darauf nur eine Antwort ein. Nur ein einziger Mensch konnte statt des Burgherrn mit diesen schottischen Wilden reden.
Sie seufzte bei dem Gedanken an Gregory. Ausgerechnet dann, wenn sie ihn so dringend gebraucht hätte, war er weit weg! Während all der Jahre, die er bei ihrem Vater gedient hatte, war Gregory für sie wie ein Bruder gewesen. Nachdem ihr das Feuer die Familie genommen hatte, schwor er ihr immer wieder, sie zu heiraten, sobald der König ihm seine Einwilligung dazu geben würde. Dann könnten sie Beaumont eines Tages wieder aufbauen. Bis es aber so weit war, wollte er an König Edwards Kriegen teilnehmen und sich als ehrenwerter Ritter und tüchtiger Kämpfer beweisen. Sie waren übereingekommen, alle Welt glauben zu lassen, ihr Bruder sei noch am Leben. Diese Täuschung schützte Beaumont vor einem neuen, gestrengen Herrn, den der König bestimmt hätte. Da Edward überall in Schottland Krieg geführt hatte und jetzt vor kurzem gestorben war, war es zum Glück nicht besonders schwierig gewesen, diese Geschichte aufrechtzuerhalten.
Doch nach drei Jahren voller Angst und Sorgen sehnte Rosalind sich immer mehr nach der Sicherheit einer Ehe mit Gregory. Warum war ihr Held jetzt nicht hier, um ihre Leute vor dieser Gefahr zu beschützen? Sie hatte es so satt, all die Kämpfe allein durchstehen zu müssen. Aber bis es ihr gelingen würde, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, musste sie wohl selbst die Burg verteidigen. Sie hatte den geliebten Besitz ihres Vaters nicht so lange verwaltet, um ihn jetzt an diese Plage aus dem Norden zu verlieren, die erst vor ein paar Sommern fast den ganzen Besitz ringsum niedergebrannt hatte.
"Gerta, geh mir im Schlafgemach meines Vaters zur Hand", rief sie der Frau zu, die sich gerade am langsam verlöschenden Kaminfeuer die Hände
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