Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

aufgebracht, der diesen noch vor einer halben Stunde genau untersucht hatte. »Der Tunnel ist eine Sackgasse!«
    Rick wollte sich gerade rechtfertigen, als ein neues Geräusch alle vier dazu brachte, sich ruckartig nach dem Eingang umzudrehen. Es hörte sich an, als wäre eine riesige Turbine im Bahnhofssaal eingeschaltet worden.
    Ohne nachzudenken, rannten sie hinüber und entdeckten sofort, was die Ursache des gewaltigen Lärms war: Die Eingangstafel hatte sich eingeschaltet und all ihre Buchstaben und Ziffern drehten sich in schwindelerregendem Tempo. In dem leeren, hallenden Saal hörte sich das an, als würde ein gigantischer Stapel Karten neu gemischt.
    Dann wurden die Buchstaben und Ziffern allmählich langsamer und der Lärm ebbte ab.
    »Was passiert da?«, fragte Fred Halbwach wieder.
    »Es ist schon passiert. Black hat uns eine Nachricht hinterlassen«, bemerkte Jason.
    Endlich blieben die Buchstaben stehen.
    »Eine Nachricht?«
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Julia.
    »Keine Ahnung«, musste Jason zugeben.
    »Aber ich bin mir sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind«, erklärte Rick.
    »Ihr seid wohl vollkommen verrückt geworden!«, rief Fred Halbwach aus. Dann las er laut vor, was nun auf der Tafel stand.
    Mein Freund, willst du im Zug mitfahren,

musst dein Herz du zu gleichen Teilen

mit Sand und Wind beladen,

dazu noch hundert Freunde ohne Falsch und Trug,

das sind, so glaube mir, grade genug.
    Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, hörten sie aus der Ferne ein dumpfes Grollen, das den Fußboden erzittern ließ. Rasch kam es näher und wurde immer lauter. Vom Kronleuchter über dem Bahnhofssaal rieselte der Staub in dichten Wolken herunter.
    »Er kommt!«, rief Jason, der sofort begriffen hatte, was da geschah. Aufgeregt sah er sich nach einem Ausgang um.
    »Wer kommt?«, fragte Fred, ohne den Blick von der Anzeigetafel zu lösen.
    »Der Zug Nummer 1974!«, schrie Rick.
    Und tatsächlich war das Geräusch das einer schnell fahrenden Lokomotive. Es kam aus Westen, aus der Richtung der Wälder von Crookheaven.
    »Schnell! Mach die Tür zu den Gleisen auf!«, rief Jason Fred Halbwach zu und lief zum Eingang der Bahnhofshalle. »Der Zug kommt!«
    »Moment mal, wartet doch«, sagte Fred weinerlich, dem die Aufregung zu viel geworden war. »Was soll ich denn machen?«
    »Such den Schlüssel und schließ diese Tür auf!«
    Fred holte den Schlüsselring aus seiner Tasche und rannte hinter Jason her. Das Geräusch des näher kommenden Zuges war immer lauter geworden und mittlerweile erbebte das gesamte Gebäude. Der Kronleuchter schwang wie ein Pendel hin und her.
    »Langsam, Kinder, bitte!«, bat der Beamte und probierte die Schlüssel nacheinander aus.
    »Nein, beeil dich!«
    »Der ist es nicht ... Der auch nicht ...«, murmelte Fred vor sich hin.
    Jason hatte keine Geduld mehr. Er rannte los, auf den Bahnhofseingang zu. Er war schneller, wenn er um das Gebäude herumlief, als wenn er wartete, bis Fred den richtigen Schlüssel gefunden hatte, dachte er. Wie ein geölter Blitz flitzte er hinaus und um die Ecke.
    Er hatte den Bahnsteig beinahe erreicht, als ihn ein heftiger Luftzug erfasste und ihm den Atem nahm.
    Eine dunkle Masse raste an ihm vorbei.
    Jason warf sich auf den Boden. Aus dem Augenwinkel sah er etwas Riesiges und Schwarzes, das mit unglaublicher Geschwindigkeit die Schienen entlangglitt.
    Der Zug war durch den Bahnhof von Kilmore Cove gerauscht, ohne anzuhalten.
    »Habt ihr ihn gesehen?«, fragte Jason die anderen, die ihm mittlerweile auf den Bahnsteig gefolgt waren.
    »Nein«, antwortete Julia. »Und du?«
    »Ich habe nur eine dunkle Maschine gesehen, die irgendwohin fuhr. Sie war so schnell wie eine Rakete.«
    »Dann nichts wie hinterher«, sagte Rick.
    »Wir werden sie niemals einholen!«, widersprach Julia.
    »Wir haben den Zug auf das Gleis umgeleitet, das in den Tunnel führt«, erinnerte Rick sie. »Und der Tunnel ist eine Sackgasse.«
    »Aber dann müsste er doch gegen den großen Erdhaufen gekracht sein und das hätten wir gehört«, meinte Jason, während er schon hinter Rick herlief, der vor ihm losgesprintet war.
    Bevor sie ebenfalls losrannte, legte Julia eine Hand auf die Schiene. Sie vibrierte überhaupt nicht.
    »Kinder! He, Kinder!«, rief Fred Halbwach vergeblich hinter ihnen her. »Was fange ich denn jetzt mit der Schalttafel an?«



Julia, Jason und Rick liefen an den Schienen entlang und brauchten keine fünf Minuten bis zum Hügel. Vor dem Eingang des