Um die Wurst (German Edition)
Straße, die von Oberbergen nach Vogtsburg führte. Es ging nur im Schritttempo vorwärts. Immer wieder sprudelten kleine Bäche, die sich ihren Weg durch den Löß gebahnt hatten, von den Hängen und fluteten die Straße. Vor Killian schlichen noch vier andere Autos hinter einem schweren Traktor her. Er genoss das Schneckentempo, dadurch konnte er sich die Verwüstung besser ansehen. Er ertappte sich dabei, dass ein Hauch Schadenfreude in ihm aufstieg. Allerdings rügte er sich auch gleich dafür. Aber es war ein Reflex aus vergangener Zeit, als Plaschtiker und Winzerkinder noch im Krieg gelegen hatten. Freunde waren sie zwar noch immer nicht geworden, aber wen würde Killian schon einen Freund nennen? Vielleicht Moshe. Aber selbst die Freundschaft mit Moshe bedurfte einer genauen Definition, die viele Einschränkungen und Klauseln beinhaltete. Killian verdrängte den Gedanken an Moshe. Von Moshe zu Rohina war es nur ein Katzensprung, und den wollte er vermeiden, deswegen war er schließlich auch auf dem Weg zu dem von Bärbel angepriesenen Wunderheiler.
Ein Hang, der sich aus einer Weinterrasse schälte und Zilden von Rebstöcken unter sich begrub, half Killian, auf andere Gedanken zu kommen. Die naturgewaltige Bewegung und der nachhallende Schall des Erdrutsches faszinierten den Frontfotografen. Jetzt erst fiel ihm auf, dass es hier aussah, als wäre Krieg. Nur dass es eben keine Schüsse und Granaten zu hören gab, sondern das unaufhörliche Plätschern von Wasser.
*
Belledin stand vor dem großen Plakat eines nackten Menschen, über dessen Körper bunte Linien gezeichnet waren. Auf den Linien saßen Punkte, die mit Kürzeln versehen waren. Es handelte sich um die Meridiane der chinesischen Medizin und deren Akupunkturpunkte. Belledin erinnerte es an einen U-Bahn-Fahrplan.
Der Vergleich entlockte Belledin ein Grunzen. Er glaubte nicht an den Schabernack. Als ihm bei einem Wettkampf mal ein Wirbel zu schaffen gemacht hatte, war auch er zur Akupunktur gerannt. Die einstweilige Verbesserung schrieb er allerdings eher der eigenen Einbildungskraft zu als den winzigen Nadeln, die der Chinese ihm gesetzt hatte. Beim Wettkampf vertraute er dann wieder dem traditionellen Voltaren.
Belledin wandte sich von dem Plakat ab und schlenderte durch die Praxis. Warum schlitzte jemand mit einem Okuliermesser den Hals des beliebtesten Heilpraktikers im Umkreis auf und ließ die Tatwaffe dann neben der Leiche liegen? Ein Hinweis? Eine falsche Fährte? Ein Symbol?
Er setzte sich hinter den Schreibtisch und wartete. Er hatte sich um dreizehn Uhr mit Hartmanns Assistentin Christa Faller hier in der Praxis verabredet. Sie war die letzten zwei Wochen auf einem Intensivlehrgang für Heilpraktiker in der Toskana gewesen und erst heute Morgen zurückgekommen. Deswegen war es ihr auch nicht möglich gewesen, an Hartmanns Beerdigung teilzunehmen. Und es sah ganz danach aus, als ob sie den Termin mit Belledin ebenso wenig einhalten konnte.
Er wartete trotzdem. Eine Unterredung mit ihr war ihm wichtig. Bisher hatte er die türkische Putzfrau vernommen und den Vermieter, dem die Praxisräume gehörten. Außerdem hatte er einige Nachbarn befragt und das Okuliermesser auf Fingerabdrücke und DNA -Spuren überprüfen lassen. Fingerabdrücke waren keine zu finden gewesen, und die DNA -Partikel suchten noch ihr gegenüber. Belledin hätte Hartmanns gesamte Klientel alphabetisch durchforsten können, aber dann hätte er gleich das halbe Dorf bestellen müssen. Die Befragten wussten Hartmann nur als freundlichen Menschen, pünktlich zahlenden Arbeitgeber und Mieter zu preisen, mehr war nicht zu erfahren gewesen. Und da Hartmanns Verwandtschaft sich bequemte, in Celle zu bleiben, war Christa Faller wohl die Person, die dem Toten am nächsten gestanden hatte. Immerhin war sie seine Gehilfin und kannte die Kundschaft, unter der sich der Täter befinden konnte. Vielleicht hatte aber auch sie Gründe, Hartmann zu töten? Nach all dem, was an Gerüchten über Hartmanns Vielweiberei kursierte, drängte sich das Motiv Eifersucht geradezu auf. Und es wäre nicht das erste Mal, dass ein Arbeitsverhältnis auch auf die private Ebene überschwappte. Wenn man sich den ganzen Tag im weißen Kittel gegenüberstand, wollte man irgendwann auch wissen, was es darunter gab. Belledin lachte bei dem Gedanken. Er liebte kleine Schlüpfrigkeiten, behielt sie aber meist für sich.
»Die Gedanken sind frei …«, begann er mit tiefem Bass zu singen und blickte dabei auf
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