Um die Wurst (German Edition)
es eng bei dem Gedanken. Er röhrte noch ein weiteres Mal. Als er in Ihringen einfuhr, überlegte er kurz, ob er nicht erst nach Merdingen abbiegen sollte, um mit Biggi Frühling zu feiern. Aber er blieb auf der Hauptstraße und hielt in Richtung Breisach, wie es sein Fall verlangte.
Der Gedanke an den Fall entspannte den Hosenstoff. Außerdem nervte ein Traktor, an dem Belledin gerne vorbeigezogen wäre. So tuckerte er mit Tempo zwanzig hinter dem Lahmarsch her und hoffte auf die nächste übersichtliche Stelle, während er das frische Grün in den Rebzeilen und Obstplantagen studierte. Dabei fiel sein Blick auf ein junges Pärchen, das sich umschlungen gegen einen Kirschbaum drückte. Er nestelte an ihrer Bluse, sie gurrte kokett.
Das war zu viel. Belledin setzte einen U-Turn und raste nach Merdingen. Er brauchte einen klaren Kopf, um den Fall zu lösen. Biggi würde ihm dabei helfen können.
*
Sandra Stark hasste Fleisch. Schon als Kind hatte sie sich übergeben, als sie Bratwürste essen musste. Stunden war sie bockig vor dem Teller gesessen, egal, was es an Verboten und Drohungen gehagelt hatte. Irgendetwas hatte sich verweigert, tief in ihr drin. Es hatte ihr gesagt, dass es falsch war, Tiere zu essen. Sie hatte dieser Stimme geglaubt, mehr als ihren Eltern. Und das hatte die am meisten geärgert. Was hatten sie ihr nicht alles erzählt. Warum der Mensch Eckzähne habe, dass er ein Raubtier sei, dass man ohne Fleisch keine Muskeln bekomme. Es hatte sie nicht gekümmert. Sie hieß Stark, und das war sie – auch ohne Fleisch.
Und jetzt sollte sie ins Schlachthaus. Zu ihrem persönlichen Antichrist.
Ein Transporter mit Rindern rollte auf den Hof. Stark blieb draußen stehen. Sie wollte die Tiere nicht sehen, die gleich auf die Schlachtbank geführt wurden. Sie würde warten, bis es geschehen war; erst dann würde sie auf den Hof treten.
Der Hänger öffnete sich. Schreie der Verunsicherung und der Ahnung drangen aus den Tierkehlen an ihr Ohr. Ihr war plötzlich, als könnte sie die Sprache des Rindviehs verstehen: Hilferufe, Flehen, Fragen, die immer wieder in einem großen »Warum?« mündeten.
Menschenstimmen mischten sich darunter. Unverständlich. Sie trieben das maulende Vieh in das Tor, aus dem es kein Zurück gab. Stark roch den Angstschweiß der Tiere, der aus dem Hof zu ihr herüberschwappte; ein Würgereiz überkam sie. Sie fand auf der gegenüberliegenden Straßenseite den Grünstreifen und übergab sich.
Als sich ihr Magen beruhigt hatte, war auch das Geschrei der Tiere verstummt. Sie hatten bereits den Weg zum Schnitzel angetreten.
Stark riss sich zusammen. Den Anblick des gehäuteten Toten hatte sie schließlich auch ertragen. Aber ihn hatte sie auch nicht um Hilfe schreien gehört. Bei ihm stand sie vor Fakten. Bei den Rindern hätte sie noch etwas tun können. Aber was? Es war lächerlich, sich darüber Gedanken zu machen. Die meisten Menschen waren nun mal Fleischfresser. Und die wollten versorgt werden. Täglich. Auf der ganzen Welt. Und hier in der Gegend sowieso.
Ihr Blick fiel auf ein Ladenlokal, vor dem ein Hund angeleint auf sein Herrchen wartete. Es war Braveheart, der Hund des Leichenfinders Seibert.
Im Gegensatz zu Belledin mochte sie Hunde. Und ein Irischer Wolfshund war schon etwas Besonderes. Sie selbst hatte in Münster viel mit Polizeischäferhunden gearbeitet und sie oft als die besseren Kollegen empfunden.
Die Tür des Ladens öffnete sich, und Seibert kam heraus. Er erkannte sie und rief zu ihr hinüber: »Werde ich beschattet?«
Sie ging auf ihn zu. »Nein, nein. Ich habe im Schlachthof etwas zu erledigen. Was tun Sie hier? Kennen Sie hier jemanden?«
»Nein. Ich komme hier nur einmal die Woche her und kaufe für Braveheart ein. Ausgezeichnete Ware, alles vom Rind. Habe es wolfen lassen. Vielleicht etwas zu fein. Braveheart mag es gern, wenn er auch etwas zu kauen hat. Eins sechzig fürs Kilo, das geht. Knochen und Schlund hab ich auch noch gekauft. Fünfzig Cent fürs Kilo, da kann man nicht meckern. Mist, jetzt hab ich vergessen, nach grünem Pansen zu fragen. Und ich habe keine Zeit mehr. Artikel schreiben sich nicht von allein.«
Er löste Braveheart vom Geländer und raschelte mit der fleischgefüllten Plastiktüte vor der Hundeschnauze herum. »Gleich gibt’s Happihappi!« Braveheart wedelte so euphorisch mit dem Schwanz, als wäre er einem Disney-Cartoon entsprungen. Fehlte nur, dass er mit der Pfote ein Loch in die Tüte riss und dann mit einer Schnur
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