Umwege zum Glück
zurückkommt.“
Nach einer weiteren Viertelstunde erschien der Sprößling, vergnügt und lächelnd und mitteilungsbedürftig.
„Reni, paß mal auf! Wärst du bereit, eine Woche auf Probe als Arzthelferin zu arbeiten und wenn das gut geht, nachher vier Wochen bei mir Helferin zu sein?“
„Ob ich – du lieber Himmel, und ob ich bereit bin!“
„Weißt du, in Doktor Sagenaus Praxis ist die Situation die, daß seine Frau als Helferin arbeitet. Sehr praktisch, nur hat das Ganze den Nachteil, daß die beiden nie zusammen Urlaub machen können. Wenn ein ganz fremder Arzt die Vertretung macht, muß eine Helferin da sein, die sich gut auskennt mit den tausend Sachen, die der vertretende Arzt nicht wissen kann. Die Helferin muß wissen, wo jedes Skalpell und jede Pipette sich befindet. Sie muß das ganze Karteisystem im Kopf haben. Sie muß wissen, wo jedes Wäschestück liegt, wo die Laborvorräte sind und wie und wann alles nachgefüllt wird.“
„Und das soll ich alles in einer Woche lernen?“
„Du sollst eine Woche zusammen mit Frau Sagenau arbeiten, ihr alles abgucken, sie kurz und klein fragen und dann zeigen, daß du alles kapiert hast. Daß du keine Laborarbeiten machen kannst, spielt keine Rolle. Ich bringe dir schon das Wichtigste bei, einfache Urinuntersuchungen, Hämoglobinbestimmungen und so was. Das ist ja etwas, was jeder junge Anlernling sehr schnell begreift. Also, wenn du es dann gut schaffst, nimmt Dr. Sagenau seine Frau mit in den Urlaub, und wir beide werden den Laden schmeißen. Was sagst du dazu?“
„O Manfred – ich werde mir wahnsinnig viel Mühe geben. Ich möchte es ja so furchtbar, furchtbar gern. Ich werde es schon schaffen. Ich werde es schaffen!“
„Ach ja, richtig, ich muß ja bei dir einbrechen, Reni“, sagte Manfred, kurz bevor wir uns für die Rückfahrt nach Hamburg fertigmachten. „Ich brauche ein Buch, das oben bei dir steht.“
„Bitte sehr, ich laufe vor und sehe zu, daß das Zimmer einigermaßen ordentlich aussieht. Außerdem ziehe ich die Vorhänge vor die Nische, damit du nicht entdeckst, daß Kijana auf meinem Bett liegt“, rief ich und rannte nach oben. Gleich darauf kam Manfred. „Du hast dich ja gemütlich eingerichtet“, sagte er. „Gefällt dir das Zimmer?“
„Und wie! Ich fühle mich pudelwohl! Und wenn du wüßtest, wie ich meinen abhandengekommenen Ohrring segne! Ohne den wäre ich bestimmt nicht hier gelandet!“
Da legte Manfred seine Hände auf meine Schultern, seine Augen waren genau wie damals, als ich ganz verheult vor ihm stand. Ich begegnete seinem Blick – und alle Worte waren überflüssig.
Er zog mich an sich, dicht an sich, und sagte ganz leise:
„Ich segne ihn auch, Reni.“
Ich schloß die Augen. Ich hatte nie geahnt, daß es so schöne Augenblicke in einem Menschenleben geben kann.
Das Schicksal meint es gut mit mir
„Du bist mir vielleicht eine!“ sagte Jessica.
„Eine was?“
„Na, eben nur ,eine’. Du organisierst deine löbliche Altershilfe, Anke und ich laufen uns die Füße wund für unsere beiden Omas, und was tust du?“
„Viel mehr als ihr! Ihr geht einmal in der Woche zu euren Omas und kauft für sie ein und macht sauber, und was mache ich? Ich mache jeden Tag Besorgungen, ich kippe jeden Tag den Mülleimer aus, Sonntag habe ich abgewaschen und werde es weiterhin jeden Sonntag tun, und – “
„Gut, also bist du doch nicht ,eine’. Aber daß du es dir praktisch eingerichtet hast, das steht fest! Alles im Haus, nette Wirtin, Telefon, Badbenutzung und sogar Lehrbücher – und die Gelegenheit, deine „Altershilfe“ zu praktizieren!“
Ich lächelte. „Ja. Du hast recht. Ich habe ein unwahrscheinliches Glück gehabt.“
„So siehst du auch aus! Übrigens, wie wird es am Samstag, hast du nun einen Freund, den du zu den Tanten mitbringst?“
„Ja.“
„Aha“, sagte Jessica.
Ich arbeitete wie ein Kuli. Das heißt wie ein geistig arbeitender Kuli. Ich schwänzte keine Vorlesung, ich las und paukte, wie ich es nie in meinem Leben getan hatte. Und es machte mir die größte Freude. Ich war einfach ungeduldig, wollte immer mehr und immer schneller lernen. Ich konnte Mutti und Vati schreiben, daß es mit meinen Studien sehr gut ginge, daß zwei Professoren mich gelobt hätten – und daß ich in den Semesterferien als Arzthelferin arbeiten wollte. Natürlich erzählte ich auch, wie reizend Frau Ingwart war, und erwähnte nebenbei, daß ich den Sohn, der nur zum Wochenende nach Hause kam,
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