Unberuehrbar
nichts.«
Pei Lin blieb kurz hinter der Schwelle stehen. »Du meinst also, wir sollten uns einfach auf ein zwangloses Gespräch vorbereiten?«
»Wir sollten«, versetzte Cedric trocken, ging an ihr vorbei und ließ sich schwer in seinen Schreibtischstuhl fallen, »versuchen, uns noch ein paar Minuten zu entspannen, ehe er hier auftaucht.« Er deutete auf die Sitzgruppe in der Nähe des Fensters. »Setz dich doch.«
Pei Lin presste ein wenig unwillig die Lippen zusammen und drückte ihre schwarze Notizmappe gegen die Brust. »Ich denke, ich werde dann schon zum Haupteingang gehen und ihn dort erwarten.«
Cedric unterdrückte ein Stöhnen. Es lag ihm auf der Zunge, sie darauf hinzuweisen, dass es durchaus als unhöflich gelten konnte, überall zu früh zu erscheinen. Aber er verkniff es sich. Stattdessen richtete er sich in seinem Stuhl auf und lächelte angestrengt. »Ja, bitte tu das. Vielen Dank, meine Liebe.«
Pei Lin nickte förmlich. »Aber gern. Bis später, Cedric.«
Die Tür schloss sich lautlos hinter ihr.
Cedric ließ sich gegen die Lehne seines Stuhls zurücksinken und legte den Kopf in den Nacken, um an die Decke zu starren. Nein, das alles gefiel ihm ganz und gar nicht. Allein die Tatsache, dass die Elite-Bürokraten des Parlaments es nicht für nötig gehalten hatten, ihm vorab Unterlagen zur Person seines neuen Mitarbeiters zu schicken, war beunruhigend genug.Selbst auf seine direkte Nachfrage hin hatten sie ihm nicht einmal einen Namen genannt.
»Seien Sie unbesorgt, Dr. Edwards«,
hatte die Dame am Telefon gesagt,
»das Referat wird Ihnen einen höchst kompetenten Mitarbeiter schicken.«
Mehr hatte Cedric beim besten Willen nicht aus ihr herausbekommen.
Die Ziffern der Digitaluhr auf seinem Schreibtisch sprangen auf Punkt zwei Uhr. Trotzdem war noch nichts zu hören, was die Ankunft von Pei Lin und ihrem Begleiter angekündigt hätte. Cedric tippte mit dem Zeigefinger einen Rhythmus auf die Schreibtischplatte und wünschte sich, die Deckenlampe ausschalten zu können. In letzter Zeit war ihm selbst künstliches Licht zunehmend unangenehm auf der Haut. Er wurde wohl doch allmählich alt.
Ein erneuter Blick auf die Uhr zeigte zehn Minuten nach zwei.
Zu spät,
dachte Cedric.
Na sieh einer an.
Pei Lin würde bester Stimmung sein.
Um dreizehn Minuten nach zwei erklang draußen am Ende des Gangs endlich das Klingeln der Fahrstuhlglocke.
Doch der Klang der Schritte, der nur Sekunden später den Kunststoffbelag des Bodens vor seinem Büro vibrieren ließ, hob Cedric vor Überraschung förmlich aus dem Stuhl.
Unmöglich!,
dachte er – aber er wusste zu gut, dass er sich nicht täuschte. Diese Präsenz hätte er zehn Meilen gegen den Wind erkannt. Eine Präsenz, die Pei Lins zarte Gegenwart völlig verschluckte. Ihm blieb kaum Zeit, sich aufrecht hinzustellen und die Schultern zu straffen, ehe sich die Tür öffnete und seine Assistentin den Raum betrat.
»Cedric …« Pei Lin brach ab, ehe sie den Satz richtig begonnen hatte. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen seltsam verklärt. Cedric hatte sie noch nie so verwirrt gesehen. Aber er konnte es ihr nicht verübeln. Nicht bei dem Anblick desVampirs, der jetzt hinter ihr über die Schwelle ins Licht trat. Nur mit Mühe widerstand Cedric dem Drang, die Fäuste zu ballen.
»Dorian. So eine Überraschung.«
Dorian Keaton betrat den Raum mit der trägen Eleganz einer sandfarbenen Kobra. Im kühlen Licht der Neonröhren schimmerte sein Gesicht wie weißes Gold, und als er die Lippen zu einem Lächeln öffnete, leuchteten makellose Fangzähne auf. Dorian Keaton. Ein konservativer Vampir, der, genau wie Cedric, vor dem Umbruch einer der wissenschaftlichen Gutachter des Konsulats in New York gewesen war. Ein brillanter und überaus ehrgeiziger Mann. Und, in zweiter Linie, einer, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, Cedric das Leben schwerzumachen. Cedric hätte gern gesagt, dass sie einfach Rivalen waren, aber das traf es nicht ganz. Dorian hatte Cedric immer gehasst. Und jetzt war er hier, in Cedrics Station – und lächelte. Das war schlimmer als jeder Spion. Und ganz sicher auch kein Zufall.
»Cedric, alter Freund.« Dorians Lächeln vertiefte sich. »Wie schön, dass wir uns endlich wieder begegnen. Gut siehst du aus.«
Cedric rang sich ebenfalls ein Lächeln ab, das jedoch in einer gequälten Grimasse verendete. Dorian war nur wenige Jahrzehnte jünger als er, und trotzdem hatte die Zeit seinem Äußeren nichts von seiner Menschlichkeit
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