Und das Glück ist anderswo
fünfzehn Matches, von denen vier kurzfristig Sportgeschichte bis nach Kampala in Uganda gemacht hatten, war sie auch die erfolgreiche Stürmerin in der Hockeymannschaft der Schule gewesen.
Als die ehemalige Schülerin den Satz rezitierte, den die Kinder zu Beginn der Ferien immer wie ein Stoßgebet aufgesagt hatten, war sie salopper angezogen als zu jedem anderen Zeitpunkt ihres Lebens. Sie trug das blau-weiß karierte Herrenhemd, das sie zu heiß gewaschen und das ihr Mann ihr in einer feierlichen Zeremonie überreicht hatte, und verwaschene Jeans. Die gehörten ihrer Tochter und waren ihr so sehr zu eng, dass sie beschloss, unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus den Ferien sowohl auf Butter unter der Frühstücksmarmelade als auch auf den süßen Senf zu verzichten, den ihre Mutter immer dann herzustellen pflegte, wenn sie bei den Metzgern in Hampstead Wurst erstanden hatte, die zumindest äußerlich den bayerischen Weißwürsten ähnelte.
Liesel grämte sich ein wenig, dass sie den Satz von der Befreiung aus der Sklaverei, der ja während ihrer gesamten
Schulzeit den ersehnten Ferienbeginn einzuläuten pflegte, ausgesprochen und nicht bloß gedacht hatte. Einen Einblick in ihr ungeschütztes Herz pflegte sie aus freien Stücken nur ihrem Mann zu gewähren. In Gegenwart von Rose und David mochte sie keine Emotionen preisgeben, die längere und umständliche Erklärungen erforderten. Emil war da anders. Er zeigte seine Gefühle jederzeit und immer ohne Scheu, und es machte ihm Freude, die Vergangenheit anderer aufzuspüren. »Wahrscheinlich weil ich von meiner eigenen nichts weiß«, pflegte er gut gelaunt zu analysieren.
Liesel hatte das nie verstanden. Ihr erschien es nicht nur eine Verschwendung von Energie und seelischer Balance, nach hinten zu schauen, sondern auch nicht der geeignete Zeitvertreib für eine Mutter von halbwüchsigen Kindern. Für Rose und David brauchte diese Mutter den ganzen Einsatz, um das Lebensschiff sicher in den Hafen der Gegenwart zu steuern. Mit ihrer Vergangenheit plante sich Liesel in einer Zukunft zu beschäftigen, in der sie wieder im Mittelpunkt des eigenen Lebens stehen würde. Ihr Mann ließ das nur so lange zu, wie er keine Möglichkeit zum Eingreifen sah. Liesel war klar, dass Emil gerade um ihretwillen vorgeschlagen hatte, aus seiner seit langem fälligen Geschäftsreise nach Kenia einen Familienurlaub zu machen, und natürlich hatten sich die Kinder sofort auf seine Seite geschlagen und alle mütterlichen Bedenken im Keim erstickt. Es war also keine Laune des Schicksals, dass sie in fünf Minuten vor ihrer alten Schule stehen würde, sondern das Ergebnis einer banalen Unterlassung. Liesel Procter, sonst energisch gegen jedermann und in erster Linie gegen sich selbst, hatte - nur um einige Minuten! -den Zeitpunkt verpasst, sich gegen einen Abstecher nach Nakuru zu wehren.
»Na, so was«, murmelte sie. Sie streichelte einen Moment Emils Arm. In London trug er nie, selbst im Sommer nicht, kurzärmelige Hemden. Der Fahrtwind hatte seine Haut leicht gerötet und wunderbar gekühlt. Sie zu berühren gab Liesel ein Gefühl der Geborgenheit. Eine Wehmut, die sie befangen machte, ließ nicht lange auf sich warten. In den ersten Jahren ihrer Ehre hatte es Liesel erregt - und nicht beruhigt -, ihren Mann zu berühren.
Sie kam nicht mehr dazu, weiter über das Verhältnis von Liebe und Zeit zu grübeln. Zu scharf wurden die Konturen von Bildern, die sie sonst nur als Schatten wahrzunehmen pflegte. Liesel sah ihren Onkel am Steuer sitzen. Wurde sie zu Ferienbeginn mit dem Auto von der Schule abgeholt, war es meistens Onkel Theo gewesen, der die lange Fahrt von der Farm in Londiani gemacht hatte. Nicht ihr Vater, der schon damals kränkelte und sich vor den schlechten Straßen graulte. Liesel verschränkte ihre Arme ineinander, seit Kindertagen bei ihr eine Geste der Abwehr. Mit einem so scharf belichteten Bild hatte sie nicht gerechnet. Onkel Theos Haar war akkurat gescheitelt, sein weißes Hemd sorgsam gebügelt. Er trug den grünen Hut, für den sich seine Nichte schämte, wenn er ihn nicht so rechtzeitig abnahm, dass ihn keiner in der Schule zu sehen bekam. Gelegentlich, beispielsweise zu Silvester, wenn die Familie in Hochstimmung war, pflegten die beiden Tanten und Liesels Mutter sich wundersame Dinge von dem grünen Hut zu erzählen. »Er stammt noch aus der alten Heimat«, sagte eine der drei Frauen unweigerlich nach dem zweiten Glas Punsch, der für die Temperaturen in Kenia
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