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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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schickten, als ich ein elternloses, ausgestoßenes Refugeekind war, haben viel Geld dafür ausgegeben, dass man mich mit Hamlet verwechselt.«
    Als der Wagen vor dem Hauptportal der ehemaligen Na-kuru School anhielt, stellte es sich schlagartig heraus, dass Emil zwischen Mango und Papaya und mit einer getigerten Katze auf dem Schoß die richtige Entscheidung getroffen hatte. Liesel war überwältigt von ihren Erinnerungen, als sie die afrikanischen Schülerinnen und Schüler sah. Ein Tross von Kindern rannte auf den Wagen zu - so wie zu ihrer Zeit die britischen Farmerstöchter, wenn sie zu Beginn der Ferien von ihren Eltern heimgeholt wurden. Dem Schulmädchen, das es ihnen einst gleichgetan hatte, kamen die Tränen, und dieses eine Mal scheute sich Lie-sel nicht, für Augenblicke ihre Seele zu entblößen.
    Die Schule auf einem Hügel oberhalb vom Nakuru See hatte einen neuen Namen. Sie hieß nun »Kenyatta Primary School«, was in schwarzer Blockschrift auf einem gelb angestrichenen Brett vermerkt war, das vor dem Hauptgebäude stand und auf dem ein schwarzer Vogel mit rot leuchtendem Schnabel zwitscherte. Das Haus mit geschwungenen Säulen und zwei runden Fenstern in einem kleinen Turm war nicht mehr so weiß getüncht und auch nicht mehr von englischen Teerosen auf einem kurz geschorenen Rasen bewacht wie in den Zeiten von kolonialer Zucht und Tradition. Mit dem abgebröckelten Putz und drei Schafen, die unmittelbar vor der Eingangstür weideten, sah das Gebäude indes weit weniger furchterregend aus, als es Liesel in Erinnerung hatte. Die Kinder der Rebellen, die sich in blutigen und brutalen Kämpfen von der britischen Obrigkeit frei gemacht hatten, trugen noch immer Schuluniform - wie einst die europäische, selbst ernannte Elite des Landes. Statt der dunkelblauen Faltenröcke mit den hochgeschlossenen weißen Blusen und den Hüten mit den gestreiften Bändern, die Liesel in diesem Moment besonders deutlich sah, waren es nun Kleider mit wippenden Röcken in den Farben des Himmels. Die Buben trugen kurze Hosen vom gleichen verzaubernden Blau und sonnengelbe Hemden.
    Diese frohgemuten Kinder Afrikas, das sah man sofort, hatten es besser getroffen als die Generationen vor ihnen. Vom Wind einer neuen Zeit verweht waren die alten Ängste. Niederdrückende Vorstellungen von der Schule als einer soldatischen Anstalt verdüsterten ganz sicherlich nicht die Tage und Hoffnungen der Schülergeneration, die nun den Namen des weisen Alten Jomo Kenyatta auf dem Schild am Eingang ehrte. Die Kleinen, die den Ford aus Nairobi umringten und dabei ihre Augen so weit aufrissen, als hätten sie nie zuvor ein Auto gesehen, waren von einer lärmenden, ansteckenden Heiterkeit. Unübersehbar war, dass diese lustvoll schnatternde Jugend auch Lehrer hatte, die das Gegenstück waren zu den Dompteuren mit dem Rohrstock aus Liesels Schulzeit. Die meisten Lehrer, die von den animierten Procters als solche ausgemacht werden konnten, schienen nicht viel älter als ihre älteren Schüler. Die Lehrenden lachten mit der gleichen Unbefangenheit und Lebensfreude wie die Lernenden, und für jede Altersstufe galt die Devise, dass nur der Gehör fand, der lauter als sein Nebenmann brüllen konnte. Ein junger Mann mit einer Pfeife um den Hals und einer weißen Krawatte, auf der ein Löwe die Zähne zeigte, sagte in reinstem Oxfordenglisch: »Das ist der falsche Weg, Sir. Die Flamingos sind dort unten am See.«
    Seine Schüler wirkten mit einem Mal angespannt. Sie holten ihre Arme zurück aus jubelnden Höhen und klopften mit weiß leuchtenden Fingerknöcheln auf die Haube des Ford. Die Älteren runzelten die Stirn und flüsterten miteinander. Dann wiederholten sie ihres Lehrers Satz. Weil ihnen Englisch nicht geläufig genug war, um in einem normalen Tempo zu reden, machten sie zwischen jedem Wort eine kleine Pause. Die Jüngeren verfielen in einen Singsang, der auffallend weit reiste. David summte leise mit. Er war zufrieden und stolz. Seit kurzem behauptete keiner mehr, er wäre unmusikalisch.
    »Die Flamingos sind dort unten am See, Sir.«
    »Wir haben nicht die Flamingos gesucht«, erklärte Liesel. Sie öffnete die Wagentür und stellte ihre Füße auf die
    Erde, blieb zunächst jedoch sitzen. Ihr fiel auf, dass Rose’ Jeans in den vergangenen fünf Minuten noch enger geworden waren als unmittelbar nach dem Frühstück. Ebenso störte sie ihre hohe Stimmlage. Jeder Laut, der ihre Ohren erreichte, jagte sie zurück in die Vergangenheit, mal

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