Und dennoch
Reformen für heute und morgen so nüchtern und konkret wie über unaufgeräumte Schubläden; entschließen wir uns zu kleinen, zu kleinsten Utopien!
Ich wäre versucht, zu formulieren, dass der Weg in die Zukunft mit dem Mut zu kleinen Utopien gepflastert ist. (…)
So gesehen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe hessische Mitbürger, haben wir also weder Anlass noch Zeit, uns auf den Lorbeeren unserer Erfolge und Fortschritte auszuruhen: Bewährung ist immer etwas, das noch vor uns liegt.
Getreu dieser Devise ist dieses kleine, schöne, mutige und fortschrittliche Land dank seiner Bürger, seiner Regierung und seines von uns allen geliebten und geschätzten Landesvaters (den eben dieser Mut zur kleinen Utopie vor allem anderen auszeichnet!) gediehen, reicher geworden und (auch für Landesfremde) anziehender. Ich bin dankbar und auch ein wenig stolz, mich zu den »Angezogenen« und nun auch Einbezogenen zählen zu dürfen.
In dieser Devise steckt aber nicht nur das Lob auf die Vergangenheit, sondern auch eine höchst unbequeme, weil unmissverständliche Herausforderung für heute und alle Tage. Deshalb wiederhole ich sie: Bewährung ist etwas, das immer erst vor uns liegt!
»Ein klares Nein« – Hildegard Hamm-Brüchers Widerspruch gegen das Konstruktive Misstrauensvotum zur Amtsenthebung von Bundeskanzler Helmut Schmidt
Auszug aus der Debatte des Deutschen Bundestages vom I. Oktober 1982
Frau Dr. Hamm-Brücher (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es sind drei Gründe, die mich zu einer Wortmeldung neben Gerhart Baum veranlasst haben, mit der ich ausdrücken möchte, was mich zu meinem Abstimmungsverhalten bestimmt hat.
Zum einem, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, möchte ich öffentlich machen, dass es sich beim Dissens innerhalb meiner Fraktion nicht um eine Kontroverse zwischen dem sogenannten rechten und dem linken Flügel meiner Partei handelt, sondern um eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung, die über inner- und zwischenparteiliche Kontroversen hinausgeht und — Sie haben es ja alle gespürt — in Grundfragen unseres Demokratie- und Parlamentsverständnisses hineinführt. Es geht um die Grundfrage, ob die Abgeordneten einer Fraktion — insoweit sind nur wir betroffen –, die mit einer klaren Aussage für eine Koalition und gegen eine andere ein hohes Wahlergebnis erzielt haben, nach zwei Jahren entgegen diesem Versprechen einen Machtwechsel ohne vorheriges Wählervotum herbeiführen dürfen.
Für mich persönlich muss ich diese Frage nach langer und schwerer Gewissensprüfung mit einem klaren Nein beantworten.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
Ich habe dies – auch meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU wissen das — von allem Anfang an so gesehen und auch in meiner Fraktion vertreten.
So betrachtet, ist ein Regierungswechsel für uns, die Liberalen, eben doch keine natürliche Sache. Daher greift auch der
Vergleich mit dem Jahr 1966 nicht. Denn damals lag ja keine Koalitionsaussage der betroffenen Parteien vor.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)
So gesehen, ist der Regierungswechsel für uns, die Liberalen, ein schmerzhafter Gewissenskonflikt. Partei- und Fraktionssolidarität, die Loyalität zu dem Vorsitzenden, für mich persönlich vielleicht auch der freiwillige Verzicht auf ein sehr schönes und sehr wichtiges Amt, dies alles steht versus persönliche und politische Verantwortung, Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
Ich bedaure zutiefst, dass der politische Liberalismus, dem ich wie Wolfgang Mischnick seit fast 35 Jahren mit Kopf und Herz verbunden bin, über diesen Konflikt in eine so schwere Existenzkrise geraten ist, und ich werde alles in meinen Kräften Stehende versuchen, dass wir diese Krise überstehen. Auch deshalb stehe ich heute hier.
Aber nicht nur das. Der Vorgang, den heute jeder Bürger vor dem Fernsehschirm miterleben kann, ist mehr als nur ein liberaler Familienkrach für oder gegen einen Machtwechsel.
Er betrifft das Ansehen unseres Parlaments, der parlamentarischen Demokratie überhaupt. Hier liegt, verehrte Kollegen, der zweite Grund für meine persönliche Wortmeldung. Wir alle beklagen ja gemeinsam den Vertrauensschwund, vor allem bei der jungen Generation, und wir alle denken darüber nach, wie wir das ändern können, und wir alle haben die Pflicht, daraus dann auch Konsequenzen zu
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