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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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ziehen. Ich glaube, wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, wie wenig gefestigt unsere Demokratie immer noch ist und wie wenig überzeugend es für unsere Bürger ist, wenn in unserem Parlament immer nur vorgestanzte Partei- und Fraktionsmeinungen vom Blatt gelesen werden.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Deshalb sollten wir alle — und ich möchte hier einmal sagen: liebe Freunde – der persönlichen Meinung und Verantwortung des gewählten Abgeordneten wieder mehr Gewicht beimessen und sie zu Gehör bringen. Deshalb sollten wir auch in so heiklen Augenblicken wie diesem offener und spontaner miteinander diskutieren und um die bestmöglichen Lösungen ringen.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Aus diesem Grunde möchte ich stellvertretend für viele Freunde und Mitbürger erklären, dass nach meiner Überzeugung der Weg über das Misstrauensvotum zwar neue Mehrheiten, aber kein neues Vertrauen in diese Mehrheiten schafft.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Dies wird sich, so fürchte ich, umso abträglicher auswirken, als das, wie sich herausstellt, ungeprüft gegebene Wahlversprechen für den Monat März nächsten Jahres offenbar nicht eingehalten werden kann.
    Der dritte Grund für meine Wortmeldung ist ein offener Protest gegen das, was man da von mir verlangt. Ich würde es übrigens im umgekehrten Verhalten, Herr Kollege Kohl, nicht anders halten. Ganz gewiss sind Koalitionen für mich kein Dogma und ganz sicher auch nicht die Koalition zwischen Sozial- und Freien Demokraten, die während 13 Jahren der Zusammenarbeit unbestritten heute auch Verschleißerscheinungen und Defizite aufweist. Die Diskussion hat das ja offenkundig gemacht:
    Dennoch, Kolleginnen und Kollegen, vermag ich dem Kanzler dieser Koalitionsregierung nicht das Misstrauen auszusprechen, nachdem ich ihm doch erst vor ganz wenigen Monaten das Vertrauen ausgesprochen habe.
    (Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Auch kann ich doch nicht ihm allein das Misstrauen für seine Regierungstätigkeit aussprechen und unsere eigenen vier Minister, ja mich selber dabei aussparen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Ich kann dem Bundeskanzler nicht mein Misstrauen aussprechen, nachdem ich noch bis vor zwei Wochen mit ihm und seinen Ministern, mit meinen Kollegen uneingeschränkt, loyal und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe,
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    wofür ich mich bei ihm in diesem Augenblick noch einmal persönlich sehr herzlich bedanken möchte.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Ich möchte Sie – damit möchte ich schließen – um Verständnis für diese Position, vielleicht sogar um Verzeihung bitten. Vielleicht ist das eine typisch weibliche Reaktion. Davon war ja in den letzten Tagen hier auch viel die Rede. Ganz gewiss verstehe ich sie persönlich als eine christliche Reaktion.
    Ich finde, dass beide dies nicht verdient haben, Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Zweifellos sind die beiden sich bedingenden Vorgänge verfassungskonform. Aber sie haben nach meinem Empfinden doch das Odium des verletzten demokratischen Anstands.
    (Zustimmung bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Sie beschädigen — und das entnehme ich so vielen Zuschriften sehr ernsthafter Menschen in diesem Jahr — quasi——
    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wir haben doch auch Wähler, gnädige Frau!)
    – Für Sie, Herr Kollege Jenninger, mag das auch gar nicht so relevant sein, wie das für uns in unserer Gewissensentscheidung ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)
    Diese beiden Vorgänge haben nach meinem Empfinden also das Odium des verletzten demokratischen Anstands. Sie beschädigen quasi die moralisch-sittliche Integrität von Machtwechseln.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD - Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!)
    — Ich sehe das so, es tut mir leid. Sie sehen das anders und haben es auch gesagt. Ich meine, dass darauf kein Segen liegen kann.
    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Es ist skandalös, dass Sie die Verfassung als unmoralisch bezeichnen!)
    Mit beidem sollten wir sehr behutsam umgehen, meine Damen und Herren, angesichts unserer immer noch schwach entwickelten politischen Kultur.
    Vor gerade zwei Jahren hat der Wähler eindeutig zugunsten der

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