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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Grenze zwischen den hellen Lichtern des alten Glanzes und den Slums. Im Zug der nach Osten fortschreitenden Wirtschaftsbelebung schwappte ein wenig von dem Neonlicht herüber, aber es reichte nicht aus, um die verborgenen Ritzen und Spalten zu erhellen. Ich brauchte nicht weit zu gehen, bis ich jemanden fand. In eine dünne Decke gehüllt, saß sie mit angezogenen Knien auf dem Gehsteig, den Rücken gegen das Tiefparterrefenster eines Billigklamottenladens gelehnt. Ihr Alter war unbestimmbar, irgendwo zwischen zwanzig und fünfzig, ihr Haar verfilzt und fettig, ihr knochiges Gesicht mit einer so dicken Schmutzschicht bedeckt, dass es keinerlei Rückschlüsse auf ihre Hautfarbe zuließ. Ihre rot geränderten Augen wirkten leer, ihr Mund schmal und verkniffen. Neben sich hatte sie eine Tasse für Münzen, mehrere Papiertüten und einen ramponierten Rucksack.
    Ich legte einen Dollar in die Tasse. Sie nickte, ohne mich anzusehen. Als ich mich neben ihr niederließ, versteifte sich ihr Körper. Sie stank nach Schweiß und Elend, aber im Moment roch ich selbst ja auch nicht gerade angenehm.
    »Was ist Ihnen passiert?«, fragte sie mich mit rauer Stimme.
    Ich hob verblüfft die Augenbrauen. »Wie meinen Sie das?«
    »Ihre Sachen müssten dringend gewaschen werden, Officer.«
    »Ach... das. Ich habe mich heute Nacht durch den Müll gewühlt. «
    »Dann haben wir ja was gemeinsam.«
    Ich musste lächeln. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon mal begegnet sind.«
    »Sie sind Officer Cindy.«
    Ich lachte überrascht. »Sie müssen entschuldigen. Mein Gedächtnis lässt mich manchmal im Stich.«
    »Es hat geregnet. Sie haben mich mitgenommen... in ein Frauenhaus.«
    Ich musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Alice Anne?« Die Spur eines Lächelns umspielte ihre Lippen. Ich zog ein Gesicht. »Sie haben mir doch versprochen, mit dem Trinken aufzuhören.«
    »Ich habe mein Versprechen gehalten.« »Wie lang? Vierundzwanzig Stunden?«
    »Ein bisschen länger.« Jetzt sah sie mich direkt an. »Was ist passiert?«
    »Komisch, dass Sie mich das fragen. Ich hab auf dem Boden eines Müllcontainers ein Baby gefunden und -«
    » Aah!«, rief Alice Anne. »Wie schrecklich! Hat es noch gelebt?« »Dem Baby geht es gut.«
    »Es ist schon für einen Erwachsenen schwer genug, hier draußen klarzukommen.« Sie spuckte aus. »Für ein Baby ist das nicht der richtige Ort.«
    »Wissen Sie was über die Sache, Alice Anne?«
    »Ich?« Sie klang überrascht. »Meines ist es jedenfalls nicht, Schwester.«
    »Das hab ich auch nicht gemeint. Aber vielleicht haben Sie eine Idee, von wem es sein könnte.« Sie schwieg.
    »Nun kommen Sie schon, Alice Anne. Wir müssen die Mutter unbedingt finden.«
    »Ich weiß nichts darüber.«
    Vielleicht ja, vielleicht nein. »Möglicherweise haben Sie ja irgendwo hier auf der Straße eine Schwangere gesehen, die -«
    »Hier draußen gibt es ungefähr hundert Schwangere. Genau deswegen sind sie hier draußen. Weil sie schwanger sind und nirgendwo sonst hinkönnen.«
    »Wo finde ich diese hundert Mädchen?«
    Sie warf mir einen angewiderten Blick zu. »Wie lange arbeiten Sie schon in dieser Gegend -« »Alice -«
    »Das ist gar nicht so schwer, Schwester. Sie schauen bloß auf der falschen Straße.« »Sunset?« Alice Anne nickte.
    Der Sunset Boulevard war die nächste größere Straße in südlicher Richtung. Dort gingen die weiblichen Prostituierten ihrem Gewerbe nach. Das Revier der Jungs war der Santa Monica Boulevard, eine weitere große Straße in der Nähe des Sunset. Die meisten der Männer blieben im Zuständigkeitsbereich des West Hollywood Sheriff, aber manchmal streunten sie bis ins Territorium des LAPD - mein Gebiet. All diese jungen Menschen, die ihr Leben einfach wegwarfen. Manchmal machte mich das richtig traurig. Natürlich hatte Alice Recht. Was sonst konnte eine minderjährige, schwangere Ausreißerin tun, um etwas zwischen die Zähne zu bekommen?
    Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »Ich werde dort mal vorbeifahren. Sie können mir nicht zufällig irgendwelche Namen nennen, oder?« »Namen, pschhhh...« Sie zog die Decke fester um ihren Körper. »Ich habe mit niemandem Kontakt. Bin heute hier, morgen dort.«
    Ich holte eine weitere Dollarmünze aus meiner Brieftasche. »Hier, holen Sie sich eine heiße Schokolade. Und wenn irgendwo von einem ausgesetzten Baby oder seiner Mutter die Rede ist, dann rufen Sie mich an.« Ich hielt ihr meine Karte hin. Zu meiner Überraschung nahm sie

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