Und der Herr sei ihnen gnädig
mir die Geschichte erzählt.« Er sah auf die Uhr und schrieb dann etwas auf ein Klemmbrett, das am Bettchen meines Babys befestigt war. »Ich muss ihr Blut abnehmen.«
»Sie schläft so schön.«
»Ich habe eine sanfte Hand. Vielleicht bekommt sie die ganze Prozedur gar nicht mit. Wenn Sie sie weiter auf dem Arm wiegen, wird es noch leichter gehen.«
Ich zog eine Grimasse. »Von wo nehmen Sie das Blut ab?« »Von der Ferse.«
Mein Blick wanderte zu seinem Namensschild. Obwohl Marnie ihn Koby genannt hatte, stand da YAAKOV KUTIEL - R. N., M. N., M.P.H. NEUGEBORENENINTENSIVSTATION. Einer meiner Stiefbrüder hieß offiziell ebenfalls Yaakov, auch wenn mein Dad ihn normalerweise Jake oder Jacob nannte. Yaakov war ein Name, den man mit Juden oder Russen in Verbindung brachte. Der Mann schien weder das eine noch das andere zu sein. »Wie geht es ihr?«
»Sehr gut, sie war nur ein wenig ausgekühlt.« Er nahm mehrere Objektträger aus ihren Plastikhüllen und markierte jeden mit einer Nummer. »Allzu weit war ihre Temperatur allerdings gar nicht gesunken, weil sie den Sanitätern zufolge von den Mülltüten bedeckt war.«
»Das stimmt.«
»Sie hat geschrien, als Sie sie fanden, oder?«
Er sprach die Worte abgehackt wie ein Afrikaner.
Ich bejahte seine Frage.
»Demnach hatte sie genug Sauerstoff in ihren kleinen Lungen.« Eine Nadel mit einer blauen Kappe kam zum Vorschein. »Sie war zu dem Zeitpunkt nämlich erst wenige Stunden auf der Welt.«
»Ich weiß. Die Nabelschnur hing noch dran.«
»Laut Sanitätern hat sich die Betreffende nicht mal die Mühe gemacht, dem Kind das Fruchtwasser vom Körper zu wischen. Sie hat es einfach rausgepresst und in den Müll geworfen.«
Er befreite ein Reagenzglas aus seiner Verpackung. »Es ist gut, dass Sie sie so schnell gefunden haben. Babys verlieren nach der Geburt rasch an Gewicht.«
»Manchmal geschehen Wunder.«
Er stieß ein leises Lachen aus. »Manchmal passieren sie einem sogar selbst.« Er stellte sich dicht neben mich, schob die kleine rosafarbene Decke hoch und entblößte einen winzigen Fuß. »Hat man ihre Mutter schon gefunden?«
»Nein, noch nicht... aber wir werden sie finden. Hoffe ich zumindest. «
Der Pfleger runzelte die Stirn. »Wir?«
»Ja, wir... Ich bin Polizistin.«
Er hob ein wenig die Augenbraue, sagte aber nichts. »Wie ich sehe, hat man Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählt.« »Stimmt.«
»Ich war gestern Nacht allein auf Streife. Als ein Hilfskellner die Kleine schreien hörte, winkte er mich heran«, klärte ich ihn auf. »Ich werde morgen Vormittag von Haus zu Haus gehen und die Leute wegen der Mutter befragen, bevor mein offizieller Dienst beginnt.«
»Eine engagierte Polizistin.«
»So bin ich nun mal.«
»Engagement ist etwas Gutes.« Er nahm die winzige Ferse kurz in Augenschein, tupfte sie mit einer gelben Reinigungslösung ab und stach dann schnell hinein, wobei er sie mit seinen behandschuhten Fingern leicht zusammendrückte, um ein paar Blutstropfen herauszuquetschen. Die Kleine zog eine Schnute, aber nachdem ich sie ein paarmal hin und her gewiegt hatte, beschloss sie, einfach weiterzuschlafen.
Schweigend saugte der Mann das Blut mit einer Pipette auf und verteilte es auf die Objektträger. Dann klebte er ein Pflaster auf die Ferse des Kindes und kitzelte es sanft an der Fußsohle. Im Schlaf zog es das Bein an, um es gleich darauf wieder entspannt auszustrecken.
Er lachte leise. »Gute Reflexe.«
»Aufgewacht ist sie jedenfalls nicht.« Endlich brachte ich den Mut auf, ihm in die Augen zu sehen. »Sie müssen tatsächlich eine besonders sanfte Hand haben.«
»Ich hätte Chirurg werden sollen.«
»Warum sind Sie es nicht geworden?«
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, waren sie mir auch schon schrecklich peinlich. Sein Blick wanderte von der Kleinen zu mir.
»Ich hatte das scherzhaft gemeint.«
»Oh.« Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. »Das war taktlos von mir. Tut mir Leid.« Hätte ich bloß den Mund gehalten.
Er lachte, während mir immer heißer wurde. »Sind Sie jetzt enttäuscht von mir?«
»Ahm... enttäuscht? Ich?« Ich bemühte mich um einen gelassenen Ton. »Ich wollte nur ein bisschen Smalltalk machen.«
Die Lachfältchen an seinen Augenwinkeln verrieten mir, dass er lächelte. »Ich muss das Blut jetzt ins Labor bringen. Sie müssen sie zurück in ihr Bettchen legen.«
Seufzend betrachtete ich das Bündel auf meinen Armen, streichelte der Kleinen noch einmal über die Wange. Ich
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