und der verschwiegene Verdacht
lag Cornwall. Wie ein abgebrochener Ast ragte es aus der südwestlichen Spitze Englands heraus, eine zerklüftete Halbinsel mit dem Atlantik im Norden und dem Ärmelkanal im Süden. Emma war schon oft in England gewesen und hatte zahlreiche Gärten besucht, aber die Gärten von Cornwall hatte sie noch nicht gesehen. Mit dem Finger fuhr sie die geplante Reiseroute entlang, um bei den einge-kreisten Namen jeweils innezuhalten: bei Cotehele, Glendurgan, Killerton Park und all den anderen privaten Landhäusern, die jetzt in der Hand des National Trust waren und von zahlenden Besuchern besichtigt werden konnten.
Richard hatte die Absicht gehabt, das Studio für den Sommer zu schließen und die Modefotografie für eine Weile ruhen zu lassen, um ein ganz anderes – anspruchsvolleres – Projekt anzugehen: einen Bildband mit Schwarz-Weiß-Fotografien über die neolithischen Steinkreise, die über ganz Cornwall verstreut waren. Emma war so damit beschäftigt gewesen, neben ihrer eigenen auch noch seine Reise zu planen, dass sie es als Erleichterung empfunden hatte, als er für ein paar Wochen verschwand.
Sie hatte keinen Grund zur Sorge. Natürlich hatten sie in einer offenen Beziehung gelebt, und Richard hatte eine ganze Reihe kurzer Affären gehabt.
Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass es diesmal anders sein würde.
Dann hatte das Reisebüro angerufen und ihr mit-geteilt, dass Richard seinen Flug storniert habe.
Kurz darauf rief Richard an, um ihr zu sagen, dass es eine andere Frau in seinem Leben gebe. Und dann war die Einladung zur Hochzeit gekommen, der endgültige Beweis dafür, dass Richard für immer aus ihrem Leben verschwunden war. Zum Entsetzen ihrer Mutter und all ihrer Bekannten hatte Emma die Einladung angenommen. Sie musste die Märchenprinzessin mit eigenen Augen sehen.
Emma legte die Landkarte wieder zusammen und lächelte leise. Die Märchenprinzessin, so hatte Rita Richards Braut genannt, und Emma musste zugeben, dass die Bezeichnung zutraf. Schlank und elegant, zwanzig Jahre jünger als Richard, mit Haar, das wie gesponnenes Gold glänzte, und Augen wie ein Sommerhimmel, so war die Märchenprinzessin zum Altar geschritten – nein, sie war geschwebt. Und dort hatte Richard sie erwartet.
Rundlich in seinem Kummerbund, einen leichten Hauch von Schweiß auf seinem spärlich behaarten Kopf, strahlte er seine zukünftige Frau mit einem väterlichen Lächeln an, das leicht beunruhigend wirkte. Noch bei der Erinnerung daran errötete Emma. Es war so traurig gewesen, ihren freien, unabhängigen Richard plötzlich als Opfer einer ganz banalen Midlife-Crisis zu sehen.
Und doch war es so. Eine fünfzehnjährige Beziehung war zu Ende gegangen, weder mit lautem Knall noch auf leisen Sohlen, sondern mit dem knisternden Geräusch eines Briefes, der durch den Türschlitz fiel.
Nach der Hochzeit hatte sie viel Zeit in ihrem Garten zugebracht. Sie hatte den Komposthaufen umgesetzt und sich dabei gewundert, warum sie sich so … taub fühlte. Es war Emma nicht gegeben, starke Gefühle zu äußern, aber sie war selbst überrascht gewesen über die Stille, die sich um sie aus-zubreiten schien. Stand sie wirklich unter Schock, wie ihre Mutter behauptete? Oder befand sie sich lediglich in einer natürlichen Phase des Übergangs, aus der sie reifer und ihre neue Lage akzeptierend hervorgehen würde? Emma zog diese Erklärung vor. Sie wusste, dass es einige Dinge im Leben gab, die sie nicht ändern konnte.
Aber es gab auch Dinge, wo sie es konnte. Sie war ins Haus zurückgegangen und hatte den Rest des Abends damit verbracht, die Sachen zusammenzutragen, die Richard zurückgelassen hatte: einen alten Bademantel, ein kaputtes Stativ, einen Stapel CDs und Videos mit Rockmusik. Als sie die grellbunten Videokassetten in den Karton für den Flohmarkt legte, kam ihr der Gedanke, dass Richards Musikgeschmack genauso unreif war wie sein Geschmack für Bräute, und dieser kleine Witz hatte sie aufgemuntert. Ihr Sinn für Humor war ihr nicht abhanden gekommen, und das schien ihr die Bestätigung dafür zu sein, dass sie in der Lage war, es auch ohne Richard mit der Welt aufzunehmen.
Ihre Freunde und ihre Mutter waren keineswegs überzeugt davon. Sie sahen Emma als Opfer und erwarteten, dass sie sich entsprechend benahm.
Es war lächerlich. Warum waren ihre Freunde nicht ehrlich? Warum konnten sie nicht einfach sagen, wie sie wirklich über die Sache dachten?
»Du bist kein Kind mehr, Emma. Du bist vierzig, du hast ein
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