Und die Goetter schweigen
als hätte er ihn in einem Müllcontainer gefunden. Arvidsson lag halb über dem Tisch und starrte wie ein hypnotisiertes Huhn in seine Kaffeetasse. Ragnarsson- Sturm ließ nervös seinen Kaffeelöffel auf dem Tisch kreiseln, Runde um Runde. Hartman blickte ihn verärgert an. »Bitte, Herr Professor, Sie haben das Wort.«
»Ich muss eine Sache bekennen, eine nicht sonderlich ehrenhafte Sache«, ließ sich der Professor schamhaft vernehmen und holte tief Luft. Maria starrte ihren alten Freund verständnislos an. »Ich habe Disa Månsson gekannt, seit sie eine junge Frau war. Kurz nachdem meine Frau gestorben war, hatten wir ein Verhältnis miteinander. Ich war einsam. Sie war zufällig da. Es war niemals mein Bestreben, nicht meine Absicht, aber es kam doch so. Weihnachten habe ich Berit Ask im Hause von Maria Wern wiedergetroffen. Wir fühlten uns zueinander hingezogen. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, aber erst als wir intimen Kontakt hatten und ich die Brandnarben auf ihrem Rücken sah, begriff ich, wer sie eigentlich war. Dreißig Jahre älter und mit operiertem Gesicht, aber die Augen waren dieselben.«
»Warum hast du nichts gesagt?«, rief Maria bestürzt. »Warum hast du nichts zu mir gesagt?«
»Das war eine Sache der Ehre. Versteh mich nicht falsch. Ich war der Ansicht, dass sie gute Gründe hatte, sowohl diesen Dick Wallström als auch den Gynäkologen umzubringen. Gemäß der Moral alter Zeiten war sie ganz einfach gezwungen, sich zu rächen, um ihrer Ehre nicht verlustig zu gehen. Ich kann das aus ihrer Perspektive betrachten und aus eurer.«
»Eine Sache der Ehre!«, platzte Maria los. »Sie hat mindestens vier Menschen ermordet. Außerdem haben wir in dem Brunnen bei dem Gehöft, das ihrer Mutter gehört, einen Schädel gefunden. Sie hat mein Kind! Vielleicht ist Linda gar nicht mehr am Leben! Sie hat mein Haus angezündet, und du sprichst von Ehre!«
»Verzeih mir, Maria.« Der Professor wurde abwechselnd rot und bleich. Er versuchte seine Hand nach Maria auszustrecken, aber sie konnte sie nicht nehmen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um euch zu helfen. Glaub mir, Maria! Ich bin völlig verzweifelt«, stammelte der Professor. Hartman legte seine Hand auf Marias Schulter. »Erzählen Sie weiter. Für uns ist das alles hier völlig unbegreiflich. Wissen Sie, was sie mit dem Kind vorhat?«
»Ich glaube schon. Ihr ist ein Kind geraubt worden. Es wurde bei ihr gegen ihren Willen eine Abtreibung vorgenommen. Das Kind wäre ein Mädchen gewesen, hat sie mir erzählt. Darum hatte sie Anspruch auf ein neues Kind. Ich glaube jedenfalls, dass sie so denkt.«
»Aber das ist doch absurd.« Arvidsson starrte dem Professor direkt in die Augen. »Als die medizinische Wissenschaft, die Wissenschaftler, die Oberpriester unserer Zeit, ihrem Kind das Leben nehmen konnten, gab sie die Denkweise unserer Zeit auf und legte keinen Wert mehr auf unsere Moral. In der Psychologie spricht man von Regression, wenn jemand einen Schritt in der Entwicklung zurückgeht, weil die Belastungen im Leben zu groß werden. Disa Månsson regredierte nicht im üblichen Sinne – sie trat einen Schritt in der Geschichte zurück. Sie wollte nicht mehr länger ein Teil unserer Zeit, unserer Sitten, sein. Sie suchte sich eine andere Lebensanschauung, ging zurück zu dem, was ihr Vater hoch schätzte. Henrik Månsson widmete sich intensiv seiner Forschung über die Wikingerzeit im Norden. Disa verehrte ihren Vater.«
»Der Kopf, den wir im Brunnen gefunden haben, kann der etwas mit den Opfern zu tun haben? Kann Disa ihn dort hineingelegt haben?« Hartman zog sich am Ohrläppchen, sodass es ganz rot wurde. Arvidsson überlegte still für sich, dass der andere sich wohl auf diese Weise wach hielt. »Odin bewahrte das Haupt des Riesen Mimir in seinem Brunnen auf. Von dem abgeschlagenen Kopf bekam er Rat in magischen Dingen, ungeheuer wertvolle Kenntnisse. Dieser Schädel ist für Disa sicher sehr wichtig, außerordentlich wichtig! Vielleicht ist er das Kostbarste, was sie hat. Es würde mich nicht wundern, wenn der Kopf einmal auf Henrik Månssons Leib gesessen hätte. Er gab ihr Halt und Rat, als er noch am Leben war.«
»Was glauben Sie, was Disa jetzt tun wird?«
»Ich glaube, sie wird den Göttern opfern. Bestimmt fühlt sie sich verfolgt. Der Feind ist mächtig. Sie braucht Odins Unterstützung, wenn sie gewinnen will. Sie hat keine Angst zu sterben.
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